Niedergang der westlichen Gesellschaft?

 

Es wäre eine maßlose Überschätzung der Politiker, ihnen eine solche Weitsicht zutrauen zu wollen, dass eine über Jahrzehnte aufgebaute Entwicklung das Ergebnis eines Planes zur Zerstörung der westlichen Gesellschaften gewesen sein könnte. Es scheinen sich aber wohl einzelne Fehlentwicklungen, von denen eine Gesellschaft jede einzelne hätte korrigieren können, zu einer gefährlichen Welle zu kumulieren.

missionarische Grundhaltung von Politik und Medien


Udo Brandes schrieb am 25.11.22 in einer lesenswerten psychologischen Argumentation unter dem Titel „Saubermänner*innen: Die schmutzigen Seiten der Politisch Korrekten“ auf https://www.nachdenkseiten.de/?p=90823: „Eines der beliebtesten ideologischen und politischen Machtinstrumente des liberalen Establishments ist das Moralisieren. Moralisieren beinhaltet immer auch (ob ausdrücklich oder unausgesprochen) die Behauptung ‚Wir sind die Guten, ihr seid die Bösen‘. Aber wie schon das Sprichwort sagt: Wer mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, auf den selbst zeigen die drei anderen Finger.“ Und er kam zu der Schlussfolgerung:

„Hinter den geschilderten Verhaltensweisen stecken antidemokratische und antiplurale Affekte, die die politisch korrekten Saubermänner*innen nicht wahrhaben wollen, denn sie halten sich ja für die Guten. Aber Menschen sind nun einmal ambivalente Wesen, und das gilt natürlich auch für die Saubermänner*innen. Statt bei politischen Fragen zu moralisieren, sollte also besser gefragt werden: Was ist unser oder mein Interesse? Erst recht bei existentiellen Fragen wie ‚Krieg oder Frieden‘.“

Im Inland mag das Moralisieren von Politik und Medien eine Machtstrategie sein, in der Weltpolitik ist es aber gefährlich. Zur Außenpolitik gehört die Fähigkeit, Zweckbündnisse zu organisieren. Das sind meistens wechselnde Koalitionen zu verschiedenen Sachfragen. Staaten mit gemeinsamen Interessen verfolgen sie gemeinsam, auch wenn sie in anderen Fragen Welten trennen. Wer aber die Welt in Gut und Böse einteilen will, verbaut sich diese Möglichkeit. Der Gute darf nicht mit dem Bösen kooperieren, auch wenn er sich mit dieser Einstellung selbst schadet. Die Bösen haben solche Skrupel nicht und fragen nur nach gemeinsamen Vorteilen. Diese Haltung beschreibt man in der Weltpolitik als „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“. Eine wertebasierte Außenpolitik ist aber keine Machtstrategie, sondern eine Politik des Machtverlustes. Ein Staat legt sich auch für den Fall auf ein bestimmtes Bündnis fest, bei dem die eigenen Interessen denen der Führungsmacht widersprechen. Dagegen haben die meisten Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas keine moralischen Probleme mit der Nichteinmischung, und sie dürften diesen strategischen Vorteil vor dem Westen in den nächsten Jahrzehnten nutzen.  

Deindustrialisierung Europas


Der Reichtum des Westens basiert auf seiner Industrie. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Japans hat sich der politische Westen in den geografischen Osten ausgedehnt, denn Japan hat sich der westlichen Führungsmacht USA unterworfen. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas begann aber auch die Entstehung einer politischen Gegenmacht, denn eine Unterordnung Chinas unter den Willen der USA konnte niemand ernsthaft erwarten.

Indem China seine Produkte billiger anbot als die westliche Konkurrenz, führten die Marktgesetze zu einer Verlagerung großer Teile der Industrieproduktion nach Asien, und nicht nur nach China. Diese Entwicklung wurde durch die Vernachlässigung des Umweltschutzes in den meisten asiatischen Ländern, auch in China, begünstigt. Dagegen wurden die Umweltauflagen in Europa ständig verschärft. So kam es langsam zur Abwanderung industrieller Produktion aus Europa. Mit der politischen Entscheidung, dass die europäische Wirtschaft keine russische Energie mehr einkaufen solle, wurde dann auch noch die restliche Industrieproduktion im internationalen Kostenvergleich unwirtschaftlich.

Es stellt sich dann aber die Frage, mit welchen Leistungen die europäische Wirtschaft die Exporterlöse erwirtschaften soll, mit denen die Importe bezahlt werden könnten. Der Westen hat im Wesentlichen nur die Geld- und Kapitalmärkte sowie Software, der Rest der Welt hat die Rohstoffe, die der Westen braucht. Ohne Exporte werden die westlichen Währungen aber an Stabilität und damit an Bedeutung verlieren. Wenn dann ein internationales Währungssystem ohne USA und Europa entsteht, entfällt auch die Existenzgrundlage des westlichen Finanzsystems. Und Software entsteht in den Köpfen von Menschen, und die sind anders als Rohstoffvorkommen oder Industrieanlagen hochgradig mobil. Sobald die BRICS-Staaten ein Rohstoffbasiertes internationales Währungssystem entwickelt haben, das mindestens in Asien, Afrika und Lateinamerika den US-Dollar verdrängen kann, werden die klügsten Köpfe dorthin abwandern, wo sie für ihre Leistung in einer stabilen Währung bezahlt werden.

Auch das vorwiegend europäische bzw. deutsche Projekt, dem Klimawandel mit einer Reduzierung von CO2-Emissionen aufhalten zu wollen, führt am Ende zu einer Zerstörung der wirtschaftlichen Basis Europas. Es soll hier nicht gefragt werden, in welchem Umfang der unbestreitbare Klimawandel auf Eingriffen des Menschen beruht, und welcher Anteil auf eine sich in etwa alle 1000-1200 Jahren wiederholenden Abfolge von Kalt- und Warmphasen. Wenn es aber seit 30 Jahren „fünf-vor-zwölf“ ist, dann muss der richtige Zeitpunkt längst verpasst sein. Statt seine Ressourcen für unrealistische Ziele zu verschwenden, sollte die Menschheit ihre Anstrengungen lieber auf Bewässerungsprojekte und den Hochwasserschutz konzentrieren, um den Klimawandel zu bewältigen statt zu stoppen.

umgekehrter Totalitarismus


Der Westen behauptet eine moralische Überlegenheit über den Rest der Welt und fordert überall auf der Welt die Menschenrechte ein. Dabei bezieht man sich aber nicht auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, sondern auf gefühlte Menschenrechte, z.B. das Recht der LGBTQXYZ-Minderheiten, der Normalo-Mehrheit mit einer Sexualisierung aller Lebensbereiche auf die Nerven zu gehen. Hier wird die Herrschaft von Minderheiten errichtet, was kein demokratischer Grundgedanke ist.

Auf https://multipolar-magazin.de/artikel/sheldon-wolins-umgekehrter-totalitarismus wurde am 22.04.22 auf 8 DIN-A4-Seiten das Buch „Sheldon S. Wolin: Umgekehrter Totalitarismus. Faktische Machtverhältnisse und ihre zerstörerischen Auswirkungen auf unsere Demokratie.“ besprochen. Das Stichwort „Diktatur“ wird nicht verwendet, es wird aber beschrieben, wie sich in den „westlichen Demokratien“ eine kleine Minderheit die totale Macht sichert. Das wird als umgekehrter Totalitarismus bezeichnet.

Immer eindeutiger kristallisiert sich danach der Befund heraus, dass ökonomische Eliten und ihre organisierten Interessengruppen die Regierungspolitik maßgeblich bestimmen, während die Durchschnittsbürger und deren Interessenvertretungen nur geringen oder gar keinen Einfluss ausüben. Anders als im klassischen Totalitarismus (Nationalsozialismus, Faschismus, Stalinismus) bleibt lt. Wolin das Institutionengefüge im umgekehrten Totalitarismus scheinbar intakt. Die tatsächliche Macht liegt bei den großen Industrie- und Dienstleistungskonzernen, bei der Finanzindustrie. Die Bevölkerung verharrt in Unsicherheit, wird in Resignation und Apathie, in Passivität und Entpolitisierung getrieben.

Zu diesem Befund passt, dass sich die Gewaltenteilung in der Praxis auflöst. Die Parlamente kontrollieren nicht die Regierungen, sondern die Regierungen kontrollieren über die Regierungsparteien die Parlamente. Die Gerichte winken die grundsätzlichen Entscheidungen der Politik durch und auch die Medien als Vierte Gewalt üben keine Kritik mehr. Die wenigen Kritiker, die sich dann zu Wort melden, werden totgeschwiegen, ausgegrenzt und als Verschwörungstheoretiker diffamiert.  

Das bedeutet dann aber, dass „der Westen“ seine behauptete moralische Überlegenheit verloren hat. Hier haben sich nur andere Formen undemokratischer Strukturen herausgebildet, in denen wie in offenen Diktaturen wenige Oligarchen die Macht ausüben. Die offenen Diktaturen können aber behaupten, im Interesse der Mehrheit zu handeln.

Geschichte der Herrschaft seit der Jungsteinzeit


Die Demokratie ist keine natürliche Herrschaftsform; in der Natur herrscht das Recht des Stärkeren! Die Demokratie muss von den Schwachen immer wieder neu gegen die Stärkeren erkämpft und verteidigt werden. Dafür sollte man zunächst verstehen, wie menschliche Gesellschaften funktionieren.

In Tierherden wird nicht diskutiert. Alle Schafe folgen dem Leithammel. Diese Funktion muss dann aber vergeben werden. Das in der Natur herrschende Recht des Stärkeren basiert auf der Evolution und dem Paarungsverhalten der Säugetiere und Vögel. Die paarungsbereiten Weibchen entscheiden sich für dominante Männchen, und die Männchen tragen Kämpfe um die Weibchen aus, um ihnen ihre Dominanz zu beweisen. Männliches Dominanzverhalten ist Teil der Natur aller Säugetiere, also auch der Menschen. Es ist deshalb auch kein Produkt einer patriarchalen Gesellschaft; es ist viel älter.

Das Recht des Stärkeren wird auch in der Altsteinzeit gegolten haben, als die Menschen als Jäger und Sammler gelebt haben. Es wird aber einen langsamen Prozess gegeben haben, in dem neben der Körperkraft auch die Klugheit ein Merkmal von Stärke wurde. Als die Menschen von Jägern und Sammlern zu Ackerbauern und Viehzüchtern wurden, blieben ihre Instinkte und ihr Sozialverhalten wahrscheinlich gleich. Allerdings wuchsen die Gemeinschaften in den Dörfern an und es wäre selbstzerstörerisch gewesen, die Führungsrolle immer wieder in Machtkämpfen zu erringen und zu verteidigen. Weiter begriffen die Menschen, dass viele Schwache stärker sind als wenige Starke. Die Anführer mussten die Mehrheit dazu bringen, ihre Führungsrolle zu akzeptieren und sie von Revolten abzuhalten. Zunächst dürfte das mit einer klugen Führung und guten Argumenten passiert sein, wodurch Vertrauen in die Führung entstanden ist.

Mit Sicherheit war es aber auch keine friedliche Zeit. Die Dörfer mussten sich auch auf Überfälle rivalisierender Nachbarn oder Raubzüge umherziehender Horden einstellen. Größere Dörfer waren wehrhafter als kleine, erforderten aber auch mehr Integrationskraft der Anführer. Irgendwann waren sicher Grenzen erreicht, und die Anführer brauchten dann einen Machtapparat. Wegen der Notwendigkeit seines Aufbaus werden sich in einer Art „Evolution der Gesellschaften“ aggressive Anführer, die ein Militär aufbauten um andere Dörfer zu überfallen statt selbst zu arbeiten, als effektiver durchgesetzt haben. Sie konnten ihren Machtapparat dann auch nach innen richten und ihre Macht durch Unterdrückung statt durch Überzeugungskraft sichern.

Bauernhöfe und Handwerksbetriebe wurden schon immer in der Familie vererbt. Die Kinder erwarben das nötige Wissen von ihren Eltern. Dann war es völlig logisch, dass auch die Führungspositionen in der Familie vererbt wurden, dass die Prinzen das Herrschaftswissen von den Königen erlernten und von ihnen den Thron erbten. Zusätzlich wurde dieses System von den Religionen gestützt und als gottgewollt gerechtfertigt.

In den verschiedenen Regimen des Absolutismus, Bonapartismus, Faschismus, Leninismus und Islamismus haben sich die Bürger mit den jeweiligen Herrschaftsverhältnissen abgefunden, solange sie von der Obrigkeit weitgehend in Ruhe gelassen wurden und sie materiell ein Auskommen hatten. Selbst die Gründer der USA konnten sich keine andere Staatsorganisation vorstellen als die Führung durch eine Art von König. Für sie war es schon eine Demokratie, wenn die Amtszeit dieses Anführers zeitlich begrenzt wurde, seine Macht von gewählten Volksvertretern (Repräsentantenhaus) und einer Versammlung von Honoratioren (Senat) kontrolliert wurde und er beim Volk beliebt sein musste. Zu diesem Zweck sollten herrschende Cliquen (Parteien) dem Volk Kandidaten vorschlagen, aus denen es auswählen durfte.

Auch demokratische Staaten oder ein umgekehrter Totalitarismus würden Revolten riskieren, wenn sie das Volk ins Elend stürzen oder sie im Alltag übermäßig drangsalieren würden. Dagegen können undemokratische Regierungsformen stabil sein, wenn die Wirtschaft in diesen Staaten funktioniert, es den Menschen materiell gutgeht und die Herrschenden dem Volk einen Rückzug ins Privatleben erlauben. Undemokratische Systeme haben aber das Risiko, dass sich korrupte Strukturen herausbilden, die dann die materielle Grundlage des Wohlstands gefährdet. Auch Demokratien können korrupt sein; hier besteht aber die Chance eines demokratischen Machtwechsels mit der Auswechslung ganzer Machtstrukturen. Demokratien, die nur noch zu einem Wechsel zwischen mehreren korrupten Cliquen in der Lage sind, haben diesen Vorteil nicht.

Protestkultur


Es ist wahrscheinlich eine gesellschaftliche Gesetzmäßigkeit, dass die Jugend die Generation ihrer Eltern kritisiert und dass sich Jugendbewegungen herausbilden, die neue Ideen diskutieren und die Welt verändern wollen. Die Fähigkeit, sich für Ideen zu begeistern fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Ablösung der Jugendlichen vom Elternhaus. Das müssen keine segensreichen Ideen sein. Auch der Nationalsozialismus hatte um 1930 eine überwiegend junge Anhängerschaft.

Die Kriegs- und Nachkriegskinder, die nicht mehr von den Nazis indoktriniert wurden und das Elend der Nachkriegszeit erlebt haben, wurden vom Schweigen ihrer Eltern, sofern diese nicht z.B. als Sozialdemokraten oder Kommunisten von den Nazis verfolgt wurden, und der Restauration unter Adenauer zur 68er-Revolte provoziert. Ein Teil der Babybommer-Generation genoss einfach die von den 68ern erkämpften Freiheiten und genoss ihr Leben. Ein anderer Teil war aber von der einsetzenden Aufarbeitung der NS-Zeit und den in den Medien verbreiteten Informationen schockiert und engagierte sich politisch, z.B. in der Anti-AKW-Bewegung der späten 70er oder der Friedensbewegung der frühen 80er. Der Widerstand galt auch dem verkrusteten Drei-Parteien-System der Bonner Republik.

Nach der Politik des Aussitzens von Protesten und der relativen Wirkungslosigkeit auch von millionenfachem Protest am 22.10.1983 in Hamburg, Bonn und Mutlangen machte sich eine Stimmung der Frustration breit. Selbst starker Protest konnte die Politiker nicht beeindrucken und mit dem Grünen im Bundestag war das Drei-Parteien-System schließlich aufgebrochen, und andere Meinungen wurden nun im Parlament vertreten. Schließlich hatte sich die Babyboom-Generation nun auch um den Beruf und die Familiengründung zu kümmern.

Die folgende Generation der Wunschkinder nach dem Pillenknick wurde von ihren Eltern eher verwöhnt und sie hatte weniger das Bedürfnis, gegen ihre Eltern aus der 68er Generation zu rebellieren. Sie interessierte sich mehr für Musik, Mode und Konsum, und weniger für Politik. Mit der Verbreitung der Computerspiele setzte zudem eine stärkere Individualisierung ein.

Sexualisierung der Identität


In der Vergangenheit war die Identität einer Frage der Zugehörigkeit zu verschiedensten Gruppen. Sie wurde durch die Abstammung, die Religion, den Beruf oder politische Überzeugungen definiert. Die sexuelle Orientierung war kein Thema, weil sie sich aus der Biologie ergibt und die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung damit nie ein Problem hatte. Homosexuelle und andere Minderheiten wurden toleriert; teilweise schlug ihnen aber auch Ablehnung entgegen. Das galt bzw. gilt aber auch für Minderheiten, die wegen ihrer Abstammung, ihrer Religion oder ihrer politischen Überzeugung ausgegrenzt werden. Auch hinsichtlich des Berufs gibt es angesehene und verachtete Berufe wie z.B. Prostituierte.    

Die ideologiebeladene Einengung der Identität auf sexuelle Vorlieben bei gleichzeitiger Propagierung aller Spielarten außerhalb der monogamen heterosexuellen Beziehung führt nicht nur zu einer Verunsicherung von Jugendlichen, denen in der Pubertät das Ziel genommen wird, sie führt auch zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft.

Überakademisierung statt Bodenständigkeit


Der Wunsch der Nachkriegsgeneration, dass es ihren Wunschkindern nach dem Pillenknick bessergehen sollte als ihnen selbst, hat bei den Eltern einen starken Wunsch nach beruflichem Aufstieg erzeugt. Nach ihrer Vorstellung würde das durch ein Studium ermöglicht, dass in ihrer Generation nur wenigen Kindern aus gutem Hause möglich war. Also forderten sie von der Politik mehr Gymnasien und Studienplätze. So erreichte die Studienanfängerquote eines Jahrgangs 1965 10 %, 1985 20 %, 2005 36 % und nach einem Höchststand von 58,5 % in 2013 betrug sie auch 2021 noch 55,8 %. Gleichzeitig fehlt in der Industrie, dem Handel und besonders im Handwerk der Nachwuchs. Gleichzeitig ist seitens der Arbeitgeber ein starker Qualitätsverlust zu beklagen, denn 55 % eines Jahrgangs, können keine wissenschaftlichen Höchstleistungen erbringen. Hier befindet sich China auf der Überholspur.  

Die Überakademisierung zerstört auch die duale Ausbildung, die einst mit ihrer Praxisnähe und den frühen Berufseintritt nach 10 Jahren Schule und 3 Jahren Lehre, also mit 19 Jahren, eine besondere deutsche Stärke war. Diese solide Qualifikation einer breiten Masse war auch das Fundament des Mittelstandes als Stütze der deutschen Wirtschaft. Indem dem deutschen Bildungswesen mit der Bologna-Reform ein angelsächsisches System übergestülpt wurde, sind diese Stützen erschüttert worden.

Zudem haben sich die Hoffnungen der Eltern nicht erfüllt. Arbeitslose Akademiker, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten, sind das Gegenteil von beruflichem Aufstieg. Dagegen bewahrheitet sich die Volksweisheit, dass Handwerk einen goldenen Boden habe. Die Einkommensverteilung ist keine Frage von Gerechtigkeit, sondern von Knappheit. Es ist hochgradig ungerecht, wenn Spitzenfußballer Millionen verdienen. Aber Talente, die den Ansprüchen des FC Bayern München genügen, sind rar und werden deshalb teuer bezahlt. Wenn Handwerker knapp sind, werden die Verbrauche ihre Arbeit auch teuer bezahlen, oder sie müssen darauf verzichten. Die Dienste promovierter Historiker braucht dagegen kaum jemand.

Asiatischer Gegenentwurf


In den Organisationen BRICS+ und SOZ kristallisiert sich langsam ein asiatischer Gegenentwurf heraus. Vieles deutet darauf hin, dass diese Formate der internationalen Zusammenarbeit erfolgreicher sein können als die westlich dominierten Organisationen.

Zunächst basiert der asiatische Entwurf auf dem Prinzip der Nichteinmischung statt auf einer missionarischen Grundhaltung. Damit erübrigt sich die Diskussion über Demokratie und Menschenrechte, und ein Blick auf die Landkarte Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zeigt, dass die Mehrheit dieser Länder eine solche Diskussion auch nicht will. In diesen Ländern ist LGBTQXYZ auch kein Thema. Das BRICS-Format ist also für die Mehrheit der Länder mit über 80 % der Weltbevölkerung interessant. Hier befinden sich auch die meisten Rohstoffvorkommen und insbesondere China hat das Potential, im Fall westlicher Sanktionen die Industrieproduktion für diesen Teil der Welt zu entwickeln. Die zentrale Frage wird sein, ob der Asiatische Block in der Lage ist, ein stabiles internationales Finanzsystem zu schaffen, das den US-Dollar verdrängen kann.

BRICS+ und SOZ werden sich nicht als militärischer Block entwickeln. Andererseits haben die USA in Irak und Afghanistan die Erfahrung gemacht, dass sie auch mit massiven Militäreinsätzen nicht in der Lage sind, andere Länder auf Dauer zu beherrschen. Die nichtmilitärische Ausrichtung des BRICS-Formats ist nach Innen auch eine Garantie für das Prinzip der Nichteinmischung. Besonders die Länder Mittelamerikas wären aber weiterhin militärisch von den USA bedroht.

Es kommt nicht darauf an, was man als Einzelperson gut findet. Es wird sich durchsetzen, was für die Gesellschaft erfolgreicher ist. Ein West-Rest-Gegensatz als Blockbildung zwischen Nordamerika, Europa und Australien gegen den Rest der Welt wäre auch für die Länder des Westens kein Erfolgsmodell. Ohne die Dominanz des US-Dollar und ohne bedeutende Rohstoffvorkommen drohen erhebliche wirtschaftliche Probleme.

Es bleibt aber am Ende jedem Land selbst überlassen, ob es im West-Rest-Gegensatz einen neuen Kalten Krieg führen, oder ein vernünftiges Verhältnis zum Asiatischen Block aufbauen will. Dazu müssen sie aber auf eine Missionierung der Welt verzichten und die westlichen Werte und Menschenrecht in ihren eigenen Ländern achten, statt sie zu Worthülsen ihrer Außenpolitik zu machen.

Wenn die westlichen Demokratien ihre Staatsorganisation als überlegen betrachten, dann müssen sie durch ein gutes Beispiel überzeugen und nicht einen bloßen Machanspruch formulieren. Dafür muss die Demokratie aber zunächst wiederhergestellt werden.