zur "Koreanischen Lösung" siehe auch:
https://covertactionmagazine.com/de/2023/01/13/Kiew-zeigt-Zeichen-der-Verzweiflung/
und
http://johnhelmer.net/the-ukrainain-demilitarized-zone-negotiations-start-at-dead-end/
von Werner Müller, 10.10.22
https://www.prof-mueller.net/ukraine/frieden/
Ein Interview mit "Kontrafunk" vom 19.10.22, nach der Veröffentlichung dieser Gedanken:
https://kontrafunk.radio/de/sendung-nachhoeren/kontrafunk-aktuell/kontrafunk-aktuell-vom-19-oktober-2022
Die Frage nach einem Waffenstillstand kann nur mit einem Vergleich der geopolitischen Ziele und der Kriegsziele beider Seiten mit der aktuellen Situation beantwortet werden. Eine weitere
Voraussetzung wäre, dass ein Waffenstillstand wirklich gewollt wäre.
Die USA wollen ihre Position als alleinige Weltmacht verteidigen; darin sind sich Demokraten und Republikaner einig. Dafür gehen sie gegen alle Konkurrenten vor, die ihnen gefährlich werden
können. Donald Trump hat China als größte Bedrohung angesehen und einen Handelskrieg begonnen. Dabei hat er versucht, Russland nicht in die Arme Chinas zu treiben. Ein wichtiger Konkurrent
ist auch Europa, das Trump mit der aufgenötigten Erhöhung der Militärausgaben schwächen wollte. Alle US-Politiker sind sich einig, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und
Russland gestört werden müssen, weil sie beiden Konkurrenten der USA nützen würden.
Russland und China wollen im Gegenzug die Vormachtstellung der USA beseitigen und in eine multipolare Weltordnung mit mehreren Machtzentren verwandeln, in der keines ein Übergewicht haben kann.
Neben den russischen Gaslieferungen an Europa ist auch das chinesische Infrastrukturprogramm „Neue Seidenstraße“ in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Russland und China haben ein Interesse an
einem von den USA unabhängigen Europa und an der Entstehung neuer Machtzentren in Lateinamerika und Afrika.
Mit der Rückkehr des jetzigen Präsidenten der USA zum alten Feindbild Russland und seiner Provokation eines Krieges in der Ukraine hat Joe Biden einen Schulterschluss zwischen Russland und China
bewirkt. Indien, das sich von den USA und Europa nicht ernstgenommen fühlt, scheint sich diesem Bündnis als gleichberechtigter Partner anzuschließen. Alle drei Länder verfügen über Atomwaffen.
Iran, seit 43 Jahren Erbfeind der USA, schließt sich ihnen als Juniorpartner an. Inzwischen kann man einschätzen, dass der chinesisch-russisch-indische Block den asiatischen Kontinent dominiert.
Die aktuelle Regierung der USA scheint zu glauben, dass dieser Block an inneren Gegensätzen zerbrechen wird, und dass sie ihre Weltmachtstellung behaupten können.
Die geopolitischen Ziele der USA haben eine Lage geschaffen, in der sich Russland wegen der ukrainischen Pläne zur Eroberung des Donbass und der Krim zu einem militärischen Eingreifen gezwungen
sah. Aus russischer Sicht war die Lage mit der Israels von 1967 vergleichbar.
Jeder Krieg muss mit dem Ziel geführt werden, ihn zu beenden.
Ein westliches Kriegsziel, Russland zu erobern, wäre wegen der Größe des Landes völlig unrealistisch. Die US-Marionette Selensky hat das Ziel ausgegeben, den Donbass und die Krim zu erobern und
damit Russland und seine Schwarzmeerflotte aus dem Schwarzen Meer zu vertreiben. Es muss den USA klar gewesen sein, dass Russland die Krim auch mit Atomwaffen verteidigen würde. Deshalb dürften
die USA einen Atomkrieg in Europa von Anfang an billigend in Kauf genommen haben.
Russland hatte in der Ukraine das Ziel der Demilitarisierung und Entnazifizierung des Landes, also der Ausschaltung der militärischen Bedrohung an seiner Grenze und der Ablösung der
antirussischen Regierung. Das scheint nicht mehr erreichbar zu sein. Mit dem Beitritt der ehemaligen ukrainischen Provinzen Lugansk, Donezk, Saporozhye und Cherson zur Russischen Föderation wurde
die russische Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen vorverlegt. Daraus kann aber auch geschlossen werden, dass Russland mit dem aktuellen Frontverlauf zufrieden wäre.
Auf der anderen Seite haben die USA das Ziel, Russland mit einer Fortsetzung des Krieges weiter zu schwächen. Andererseits gibt es eine Initiative von Ex-Präsident Donald Trump, einen Frieden zu
vermitteln. Er schrieb lt. https://www.republicworld.com/world-news/russia-ukraine-crisis/donald-trump-offers-to-head-up-team-to-broker-peace-between-russia-and-ukraine-amid-war-articleshow.html:
„Machen Sie die Sache nicht noch schlimmer mit der Explosion der Pipeline. … “ (Do not make matters worse with the pipeline blowup.) Zu seinem Vermittlungsangebot sagte er: „Beide Seiten brauchen
und wollen es. Die ganze Welt steht auf dem Spiel.“ (Both sides need and want it. The entire World is at stake.)
Ein Frieden zwischen der Ukraine und Russland erscheint wegen der Maximalforderungen der USA und ihrer Marionette ausgeschlossen. Der schnelle und mit den Verbündeten der USA nicht abgesprochene
Rückzug aus Afghanistan zeigt aber, dass die USA einen Verbündeten auch unvermittelt fallenlassen, wenn es ihnen opportun erscheint.
Eine nukleare Eskalation in der Ukraine kann aktuell nicht im Interesse der USA sein. Eine Weitergabe von Atomwaffen an die Ukraine würde den Atomwaffensperrvertrag verletzen und wohl zur
Aufkündigung des Vertrags durch Russland und China führen. Dann könnte Russland auch Atomwaffen an den Iran und andere Länder verkaufen. Ein offizieller Eintritt der USA in den Krieg und die
Entsendung regulärer Truppen wäre in den USA wohl innenpolitisch nicht durchsetzbar. Die USA wären also aktuell nicht in der Lage, auf eine nukleare Eskalation zu reagieren. Auf der anderen Seite
würde Russland seine Sympathien in Asien, Afrika und Lateinamerika verspielen, wenn es ohne Not Atomwaffen einsetzen würde, nur weil aktuell nicht von einem atomaren Gegenschlag der USA
auszugehen wäre.
Diese Patt-Situation bietet die Chance für eine „koreanische Lösung“, also für einen Waffenstillstand beim aktuellen Frontverlauf mit der Einrichtung einer entmilitarisierten Zone beiderseits der
Demarkationslinie, die keine Seite als Grenze anerkennen würde. Der West-Rest-Konflikt (der Westen gegen den Rest der Welt) würde als Wirtschaftskrieg fortgesetzt. Die Rest-Ukraine würde sich
wahrscheinlich enger an Polen und das Baltikum binden, um ein USA-abhängiges anti-Russisches Bollwerk zu bilden. Damit müsste Russland vom Ziel der Entnazifizierung und Demilitarisierung der
Ukraine abrücken, während die Ukraine faktisch territoriale Zugeständnisse machen müsste und die Machtverhältnisse im Schwarzen Meer im Widerspruch zu den Plänen der USA unverändert bleiben. Es
ist aber das Wesen von Kompromissen, dass sie für alle Seiten schmerzhaft sind.
Es sollte eine internationale Waffenstillstandskommission mit Vertretern aus Russland, der Ukraine, den USA, Chinas und einem neutralen Land, z.B. Brasilien, Argentinien, Südafrika oder
Indonesien, gebildet werden. Beschlüsse bedürfen mindestens einer Zweidrittelmehrheit. Sie müssten den genauen Verlauf der Demarkationlinie und einer entmilitrisierten Zone fesstlegen und dabei
auch einzelne einvernehmliche Gebietstausche vermitteln. Sie sollte mit unabhängigen Wissenschaftlern aus den Fachrichtungen, Recht, Wirtschaft oder Politik besetzt werden, die trotzdem das
Vertrauen der entsendenden Regierung genießen dürften. Aktive und frühere Politiker sollten ausgeschlossen sein.
Die Waffenstillstandskommission wäre auch ein Gremium, in dem weitere internationale Probleme wie die Taiwan-Frage oder eine neue Weltwirtschaftsordnung nach dem Aufbau einer internationalen
Verrechnungswährung der BRICS-Staaten und insgesamt den friedlichen Übergang zu einer multipolaren Weltordnung zur Ablösung des West-Rest-Gegensatzes (der Westen gegen den Rest der Welt) zu
diskutieren.
Um nicht dauerhaft in der koreanischen Situation leben zu müssen, müssten weitere Schritte folgen. So könnte nach dem bedingungslosen Waffenstillstand vereinbart werden:
In den neuen russischen Gebieten wird Ukrainisch zur gleichberechtigten Amtsspache und Unterrichtssprache an Schulen und Hochschulen. In den ukrainisch kontrollierten Gebieten der Oblaste Sumy,
Charkow, Dnjepropetrowks, Donetzk, Nikolajew, Saporoschje, und Odessa (Süd- und Ostukraine) wird Russisch zur gleichberechtigten Amtsspache und Unterrichtssprache an Schulen und Hochschulen. Alle
Bürger dürfen unter Beibehaltung ihrer (neuen) russischen oder ukrainischen Staatsangehörigkeit an ihren Wohnort vom 23.02.2022 zurückehren und dort verfolgungs- und diskriminierungsfrei
leben.
Drei Jahre später werden in der Süd- und Ostukraine Referenden über einen Austritt aus der Ukraine und einen Beitritt zur russischen Föderation abgehalten. Eine Woche später finden Referenden in
den neuen russischen Gebieten sowie auf der Krim über einen Austritt aus der Russischen Föderation und eine Rückkehr in die Ukraine statt. Diese Abstimmungen werden von der OSZE und der BRICS
überwacht.
Spätestens nach den Volksabstimmungen werden alle Sanktionen gegen Russland aufgehoben. Alle Länder sind aber frei ihre Sanktionen, sofern sie welche verhängt haben, auch früher aufzuheben.
Wegen der Erfahrungen mit der ukrainischen Haltung zu den Minsker Friedensabkommen ist zu befürchten, dass die Ukraine die weitergehenden Schritte sabotieren wird und die neuen Referenden deshalb
nicht stattfinden können. Dann würde es dauerhaft bei der koreanischen Lösung bleiben, sofern die USA die Ukraine nicht eines Tages wie Afghanistan fallenlassen.
Russland und Europa müssen noch immer das gemeinsame Ziel haben, einen Atomkrieg zu vermeiden. Auch nach dem Anschlag auf die Gaspipelines in der Ostsee, der eine Wideraufnahme der Gaslieferungen
aus Russland unmöglich gemacht hat, gibt es damit eine wichtige europäische Forderung, die vom Volk gegenüber den USA-hörigen Politikern zu vertreten ist.
Es ist zu befürchten, dass die aktuelle Politik nicht die nationalen Ziele verfolgt und in der Abhängigkeit von den USA bleiben will. Dann muss sie aber auch das Interesse haben, einen schnellen
Waffenstillstand (wie zuvor beschrieben) herbeizuführen und eine breite Volksbewegung gegen einen drohenden Atomkrieg in Europa zu verhindern. Diese Gefahr könnte je nach Kriegsverlauf jederzeit
entstehen. Nach den Zwischenwahlen in den USA müsste auch neu bewertet werden, ob im Vorfeld der Präsidentschaftswahl von 2024 nicht doch eine Bereitschaft zum Einsatz von US-Truppen in der
Ukraine entstehen könnte; ein Vorwand ließe sich finden.
Mit ihrem Anschlag auf die Gaspipelines in der Ostsee haben die USA erreicht, dass eine Rückkehr zu den europäische-russischen Geschäftsbeziehungen von 2021 technisch nicht mehr möglich ist.
Diese Erfahrung zeigt aber, dass sich mindestens Deutschland als das Hauptziel des Anschlags aus seiner Abhängigkeit von den USA lösen und seinen Platz in einer multipolaren Weltordnung suchen
muss. Sein Gewicht wäre größer, wenn es einen gemeinsamen Austritt aus EU und NATO mit Frankreich abstimmen würde. Dieses strategische Ziel wäre aber nur mir anderen Politikern erreichbar.
Der Anschlag der USA auf die deutsche Energieversorgung hatte auch das Ziel, die Entstehung einer Protestbewegung in Deutschland zu verhindern. Die Forderung nach einer Inbetriebnahme von
Northstream 2, die z.B. von Oskar Lafontaine erhoben wurde, hat nun keine Grundlage mehr. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben!