Auszüge aus dem Bestseller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006

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Ab heute: tägliche Veröffentlichungen

zum Thema Mann, Frau und Gender

 
Der geschlechtergerechte Gesinnungsterror hat unsere Gesellschaft immer fester im Griff. So hat beispielsweise ganz aktuell Hannover Ende Januar 2019 eine Empfehlung für eine »geschlechtergerechte Verwaltungssprache« herausgegeben. Die Verantwortlichen wollen das Männliche wie auch das Weibliche aus der deutschen Sprache tilgen, frei nach dem Motto: Alles ist jetzt gleich, alle sind gleich, es gibt keine Unterschiede, schon gar nicht zwischen Mann und Frau! Gender-Gaga halt. Zum Beispiel wird das Rednerpult im schönen Niedersachsen jetzt zum Redepult umfunktioniert, denn es klingt in modernen Ohren offenbar einfach zu männlich. (Ich frage mich, wann ich wohl meinen Nachnamen Herman ablegen muss?)
 
Solche und ähnliche bescheidenen Kalauer zeichneten sich leider schon vor einigen Jahren ab. Am 7. September 2006 veröffentlichte ich das heiß diskutierte Buch Das Eva-Prinzip, das schnell zu einem Bestseller wurde. Hierin geht es u.a. um die wissenschaftlich eindeutig nachweisbaren Unterschiede zwischen Mann und Frau, außerdem um das armselige, zuweilen gar lebensgefährliche Erbe der rückwärtsgewandten »Top-Feministinnen« wie Alice Schwarzer & Co, und es geht um das Ansehen der Familie, welches heute, dreizehn Jahre später, tatsächlich inzwischen schwerstens in Mitleidenschaft gezogen ist.
 
Ab heute werde ich im täglichen Rhythmus verschiedene Passagen aus dem Eva-Prinzip zu den genannten Themen veröffentlichen. Man erkennt leicht, wie sehr sich unser Kulturkreis inzwischen verändert hat. Am Genderthema kommt heute niemand mehr so ohne weiteres vorbei. Worüber viele Menschen früher herzhaft lachen mussten, da zucken sie jetzt nicht selten zusammen und verschließen fest Augen Mund und Ohren: Man will doch nicht negativ auffallen. Den Ausschluss aus der menschlichen Gemeinschaft will niemand mehr riskieren, lieber unterwirft man sich den verbrämten, kruden Auswüchsen von Ideologie und Dogma. So etwas nennt man Totalitarismus. Können wir noch etwas verändern? Wer weiß.
 
Teil 1: Die Ideologie der Gleichheit

Mann und Frau sind gleich, und wenn sie es nicht sind, müssen sie gleich gemacht werden: Diese These gehört zu den verhängnisvollsten Behauptungen unserer Gegenwart. Man könnte sogar sagen, dass daraus eine Ideologie entstanden ist, die alle Bereiche der Gesellschaft erfasst hat. Die Vorstellung stammt aus den sechziger Jahren, als man feststellte, auch – und gerade – das Private sei politisch. Das war nicht unbedingt falsch, doch die spätere Ausweitung des Politischen auf das Verhältnis der Geschlechter enthielt einige Denkfehler. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Konnte das mit aller Konsequenz für Mann und Frau gelten?
 
Als schließlich in den sechziger und siebziger Jahren die Sozialwissenschaften nahelegten, wir Menschen könnten durch Erziehung und Milieu von Grund auf verändert werden, kam es zu erhitzten Diskussionen. Fast nichts sei von der Natur vorbestimmt, so die revolutionär klingende Überzeugung; alles galt plötzlich als formbar, selbst die Geschlechterrollen von Mann und Frau. Viele jubelten: Das bedeutet Gerechtigkeit! Und Chancengleichheit, ganz gleich, ob schwarz oder weiß, Mann oder Frau!
 
Dies war das Fundament, auf dem auch die sich damals formierende Frauenbewegung baute. Denn die neu verkündete Gleichheit wischte alle Thesen von der Tafel, die Psychologen und Analytiker in der Tradition Sigmund Freuds über die Natur des Weiblichen aufgestellt hatten – über diese hatte sich Alice Schwarzer dann auch noch nachträglich in ihrem Buch Der »kleine Unterschied« und seine großen Folgen beklagt: »Anstatt die Instrumente, die ihnen zur Verfügung stehen, zu nutzen, um aufzuzeigen, wie Menschen zu Männern und Frauen deformiert werden, machten sie sich zu Handlangern des Patriarchats. Sie wurden der Männergesellschaft liebster Einpeitscher beim Drill zur Weiblichkeit.«
 
Damit sollte es nun ein Ende haben. Der Sieg der Kultur über die Natur schien nahe – und damit der Sieg der Erziehung über das angeborene Geschlecht. Mich hatte das als Teenager zuversichtlich gestimmt. Ich kann einfach alles erreichen, dachte ich in dieser Zeit, ganz egal ob ich ein Junge oder Mädchen bin! Diese Überzeugung war es auch, die mir Selbstsicherheit gab, selbst wenn ich leise Zweifel an meinen »männlichen Talenten« hatte.
 
Heute gehört die Gleichheit der Geschlechter zum Selbstverständnis unserer Gesellschaft. In der so genannten Wissensgesellschaft, auf die wir ganz stolz sind, regiert die Vernunft, alles scheint machbar und damit auch veränderbar. Der Mensch will die Fäden in der Hand behalten und über alles entscheiden können. Aber sind solche Vorstellungen nicht letztlich von menschlichen Allmachtsansprüchen geprägt? Entsprechen sie überhaupt den heutigen wissenschaftlichen Fakten? Sind sie vereinbar mit den Gesetzen der Natur? Die Antwort: Sie sind es nicht!
 
Die Diskussion darüber, ob man Frauen und Männer gleichmachen könne, ist vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus beendet. Frauen, die ihr Lebenskonzept danach ausrichten, verrennen sich in folgenschwere Irrtümer.
 
Auch wenn die unbegrenzte Selbsterschaffung des Menschen eine verführerische Idee der Moderne ist, die Biowissenschaften können auch nach fünfzig Jahren intensiver Forschung keinen Vorrang der Erziehung über das angeborene Geschlecht verkünden. Sie räumen zwar ein, dass uns kulturelle Einflüsse steuern und formen, geben aber auch zu, dass unsere menschliche Natur nicht grundsätzlich verändert werden kann.
 
Die Tatsache, dass in den siebziger Jahren die charakteristischen Geschlechterrollen grundsätzlich in Frage gestellt wurden, war nicht nur dem Modefach der Soziologie zu verdanken. Oder der intensiv betriebenen Feminismusdebatte. Es passte auch bestens in die gesellschaftspolitische Landschaft. Das Wirtschaftswunder hatte in Deutschland zu einem konjunkturellen Höhenflug geführt. Daraus ergab sich ein Problem: Arbeitskräfte waren rar. Deshalb hatte man, wie es bis heute öffentlich heißt, schon einige Jahre zuvor die ersten Gastarbeiter ins Land geholt, um den zunehmenden Bedarf zu decken.
 
Doch auch die Frauen wurden jetzt gefordert. Wenn es zu wenig Erwerbstätige gab, was lag da näher, als sie in den Arbeitsmarkt einzugliedern? Dafür mussten Voraussetzungen geschaffen werden, die sich nicht nur in besseren Ausbildungsmöglichkeiten erschöpften. Die berufstätige Frau musste als neues gesellschaftliches Leitbild propagiert werden. Arbeit durfte für Frauen kein Makel mehr sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.
 
Der Feminismus mit seinen Selbstverwirklichungsträumen und der Behauptung einer grundsätzlichen Gleichheit von Mann und Frau kam unter diesen Voraussetzungen wie gerufen (oder wurde alles gut koordiniert?). Eine emanzipierte Frau, so hieß es plötzlich, dürfe nicht zu Hause herumsitzen und Brei fürs Baby kochen, sie müsse hinaus ins Berufsleben, um sich zu beweisen. Mehr noch: Weibliche Rollenmuster wie das der Ehefrau und Mutter wurden abschätzig beschrieben, sie galten nun als rückständig, als wenig progressiv.
 
Alles, was die Hausfrau zu ihrer Verteidigung hätte heranziehen können, wurde abgeurteilt. Als die CDU in den siebziger Jahren ein so genanntes »Hausfrauengehalt« vorschlug, um den Status von Hausfrauen aufzuwerten, hielt Alice Schwarzer im Kleinen Unterschied fest: »Ein solches Hausfrauengehalt würde die Autonomiebestrebungen von Frauen schwer behindern und sie außerdem erneut an ihre Frauenpflichten fesseln. Gerade jetzt, wo Frauen immer weniger bereit sind, sich in ihrem häuslichen Gefängnis zu begnügen, würde ihnen eben dieses Gefängnis mit einem Hausfrauenlohn versilbert und trügerisch erneut attraktiv gemacht.« Anders gesagt: Frauen sollten sich von ihrem Hausfrauendasein lösen, einen Weg zurück dürfe es nicht geben.
 
23. Januar 2019


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Teil 2: Ein grausamer Irrtum
 
Die Feministinnen waren sich also einig, dass Männer und Frauen grundsätzlich gleich seien und nur die Erziehung darüber bestimme, wie männlich oder weiblich sich jemand gebe. Nun fehlte lediglich noch ein wissenschaftlicher Beweis, der die Austauschbarkeit männlicher und weiblicher Verhaltensmuster belegte. In diesem aufgeheizten Klima wurde ein erschütterndes Experiment mit einem Menschen bekannt, das auf Betreiben eines gewissenlosen Arztes stattfand. Ein kanadischer Junge, Bruce Reimer, wurde gezwungen! als Mädchen aufzuwachsen – ein Versuch mit tödlichem Ausgang.
 
Was war passiert? Bruce kam 1966 in Kanada zur Welt, kurze Zeit vor seinem Zwillingsbruder Brian. Als die Babys gut sieben Monate alt waren, geschah während einer Beschneidungsoperation das Unglück: Der Penis von Bruce wurde von einem Laser so stark verletzt, dass er irreparabel war. Man kann sich die Verzweiflung der Eltern vorstellen.

Sie schrieben damals dem anerkannten Psychologen und Sexualforscher John Money, der sofort Kontakt mit den Eltern aufnahm. Money war ein begeisterter Anhänger der neuen Gender-Theorie, die Geschlechterrollen seien vor allem in Erziehungsprozessen erlernt. Deshalb riet er den Eltern zu einer Geschlechtsumwandlung. Und so wurde aus Bruce kurzerhand Brenda. Das Kind wurde kastriert, mit weiblichen Hormonen behandelt, in Kleider gesteckt und als Mädchen erzogen. Es sollte niemals erfahren, dass es eigentlich gar kein Mädchen war.
 
Alice Schwarzer feierte diese Geschlechtsumwandlung als Beweis ihrer These, dass die Gebärfähigkeit die einzige spezifisch weibliche Eigenschaft sei. »Alles andere«, triumphierte sie, »ist künstlich aufgesetzt, ist eine Frage der geformten seelischen Identität.«
 
Ihr Buch über den »kleinen Unterschied« erschien 1977, Brenda-Bruce kam gerade in die Pubertät. Er wurde mit immer stärkeren Hormongaben gefüttert und hatte deshalb bereits einen Busen. Doch als die Ärzte ihm auch noch eine Kunstscheide einsetzen wollten, wehrte er sich. Mit zunehmendem Alter und erwachendem Bewusstsein hatte er gespürt, dass etwas nicht stimmte. Er riss sich seine Röcke und Blusen vom Leibe, urinierte im Stehen und prügelte sich mit Jungen. Zunehmend lehnte er seinen Körper ab, ohne zu wissen, warum. Ständig war er in psychiatrischer Behandlung.
 
Die Familie war verunsichert, doch sie wollte alles richtigmachen und vertraute dem Psychologieprofessor. So wurden die Eltern auf schreckliche Weise fehlgeleitet und sagten dem verstörten Jungen nicht die Wahrheit. Aber weder zahlreiche Hormonbehandlungen noch Kleider machten aus Bruce ein Mädchen.
 
Die Probleme wurden immer heftiger. Schließlich wusste man sich nicht anders zu helfen und eröffnete dem verzweifelten Jungen, was geschehen war. Zu diesem Zeitpunkt war er vierzehn Jahre alt. Der Schock saß tief. Als Erstes zündete Bruce seinen Kleiderschrank an. Fortan lebte er als Junge und nannte sich David (Reimer).
 
Der Horror war damit noch nicht zu Ende. In qualvollen Operationen ließ sich David die Brüste entfernen und bestand auf einem Kunstpenis, um wieder »ein ganzer Mann zu sein«; Doch das Experiment hatte ihn tief traumatisiert. Zusammen mit dem Autor John Colapinto dokumentierte er seinen tragischen Fall in dem Aufsehen erregenden Buch Der Junge, der als Mädchen aufwuchs. Die Theorie, Geschlechterrollen seien lediglich erlernt, eine Behauptung, die weltweit von der Frauenbewegung begeistert übernommen worden war, hatte sich durch dieses Beispiel als völlig haltlos erwiesen.
 
Mit dreiundzwanzig Jahren heiratete David eine Frau, mit achtunddreißig Jahren nahm er sich das Leben. Die erlittenen körperlichen und seelischen Qualen hatten ihn zerstört. Er sei jahrelang psychisch terrorisiert worden wie bei einer Gehirnwäsche, lautete eine seiner Aussagen. Auch für seinen Zwillingsbruder Brian endete der eitle Ehrgeiz der Mediziner und Psychologen in einer Katastrophe: Schon zwei Jahre vor seinem Bruder wählte er‘ den Freitod, weil er Davids Leiden nicht mehr ertrug.


Und die Feministinnen? Sie schwiegen. Bis heute.
 
24. Januar 2019

 
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Teil 3: Geschlechteridentitäten
 
Davids Geschichte ist im Nachhinein ein trauriger Beweis für die zahlreichen Forschungsergebnisse, die erst in den letzten Jahren von Neurobiologen veröffentlicht wurden. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern beschränken sich nämlich nicht nur auf äußerlich sichtbare Merkmale wie Geschlechtsorgane, Brüste oder Bartwuchs. Sie umfassen darüber hinaus eine Fülle von mentalen und psychischen Gegebenheiten. So gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen der männlichen und der weiblichen Hirnstruktur. Die Konsequenz daraus sind typische Verhaltensmuster und Fähigkeiten, die sich jeder ideologisch geführten Diskussion entziehen.
 
Richtig interessant wird es, wenn Neurobiologen auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede sozialen Verhaltens und der kognitiven Fähigkeiten zu sprechen kommen. Dazu zählen Gemütsbewegungen-und Gefühle, Gedächtnis- und Sinnesleistungen sowie die Reaktionen auf Stressimpulse.
 
Weitab von der schöpfungsgemäßen, also natürlichen Unterscheidung von Mann und Frau haben zahlreiche Verfahren wie die Kernspintomographie und die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) rein faktisch zahlreiche Unterschiede in einer Reihe von Hirnregionen offenbart. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist vor allem das limbische System betroffen, Sitz der Emotionen.
 
Zunächst wunderten sich die Forscher, als sie entdeckten, dass das limbische System bei Frauen weit weniger aktiv ist als bei Männern, wenn es um das Erkennen von Gefühlen in einem Gesicht geht. Waren sie unbeteiligter? Nein, es verhielt sich genau umgekehrt; Frauen mussten sich dabei offenbar weniger anstrengen. Die spezifisch mütterliche Fürsorgefunktion musste zu einer besseren Herausbildung der Gefühlserkennung geführt haben – und deshalb fiel sie den Frauen leichter.
 
Inwieweit aus dieser Beobachtung eine biologisch-natürliche Unterschiedlichkeit abzuleiten ist, das anzunehmen oder abzulehnen bleibt gewiss jedem Menschen selbst überlassen. Jeder aber, der sich die Frage stellt, wie es sein kann, dass eine lange Geschichte der Zivilisation typische Unterschiede nicht hat abschleifen können, findet bei der modernen Humanbiologie eine Fülle von Informationen, die nachdenklich machen müssen.
 
Gerade wenn es um das Thema Kommunikation und Gefühle geht, gibt es einiges zu entdecken. Im Allgemeinen ist es einfach, im Gesicht des Gegenübers Reaktionen zu erkennen und einzuordnen. Unabhängig von Sprache und Kultur ist leicht zu erkennen, ob ein Mensch traurig, ängstlich, ärgerlich, überrascht oder glücklich ist. Ein Test ergab, dass beim Einordnen von glücklichen Gesichtern beide Geschlechter gleich gut abschnitten. War der Gesichtsausdruck allerdings traurig, ergab sich ein deutlicher Unterschied. Während Männer nur in 70 Prozent der Fälle auf die richtige Antwort tippten, kamen die Frauen auf 90 Prozent. Es ist nicht zu weit hergeholt, daraus auf eine höhere Befähigung der Frauen zur Anteilnahme bei Leid und Unglück zu schließen.
 
Auch bei der Abspeicherung von Informationen im Gedächtnis konnten unterschiedliche Verarbeitungsweisen festgestellt werden, insbesondere was die andersartige Einordnung in den beiden Hirnhälften betraf. Die Versuchsergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen sich besser Einzelheiten einer Geschichte merken können, während Männer den ganzheitlichen Aspekt im Auge haben.
 
Die Gründe sind einleuchtend. Der Bereich von Schläfen- und Stirnlappen, in dem die Verarbeitung räumlicher Wahrnehmung und des Sprachverständnisses stattfindet, sind bei beiden Geschlechtern unterschiedlich organisiert. Die Größe einzelner Regionen unterscheidet sich, auch die Dichte der Nervenzellen zeigt auffallende Abweichungen. All das wird im Augenblick der Zeugung bestimmt – und somit auch die spezifische Einteilung in ein weibliches und männliches Verhalten.
 
Feministinnen ignorierten derartige Forschungsergebnisse. Die Einteilung in männlich und weiblich sei nichts weiter als ein gesellschaftlicher Willkürakt, kein biologisch begründbarer Unterschied. »Nichts, nicht Rassen- oder Klassenzugehörigkeit markiert uns so wie unsere Geschlechtszugehörigkeit«, konstatierte Alice Schwarzer. »Mit dem Ausruf: Es ist ein Mädchen! oder Es ist ein Junge! sind die Würfel gefallen. Unser biologisches Geschlecht dient vom ersten Tag an als Vorwand zum Drill zur Weiblichkeit oder zur Männlichkeit. Da gibt es kein Entkommen.«
 
25. Januar 2019


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Teil 4: Das Scheitern der Umerziehung
 
Für die Feministinnen war das Entkommen aus dieser Geschlechterzuweisung höchstes Ziel. Also hieß es: »Raus aus der weiblichen Rolle!« Und im Zweifelsfall setzte man die Worte »Rein in die männliche Rolle!« hinzu. Eine problematische Strategie, wie sich gezeigt hat. »Umerziehung« ist ein gefährliches Experiment, nicht nur, wenn es angesichts einer gewaltsamen Geschlechtsumwandlung auf die Spitze getrieben wird. Schon die Leugnung spezifischer Unterschiede kann dazu führen, dass Kindern psychische Gewalt angetan wird.
 
Melanie ist ein solcher Fall. Ihre Mutter war, wie sie selbst sagt, eine »Super-Emanze«. Sie lehnte es ab, den Vater ihres Kindes zu heiraten, und zog. mit Melanie wenige Wochen nach der Niederkunft in eine Wohngemeinschaft. Zunächst erlebte Melanie eine eher traurige Zeit in einer Krippe, weil ihre Mutter studierte und jobbte. Als sie dann in einen »Kinderladen« kam, das alternative Gegenmodell zum staatlichen oder konfessionellen Kindergarten, begann eine neue Phase für sie. Hier wurden die Kinder zwar ökologisch ernährt und »gewaltfrei« erzogen, aber auch mit anderen Theorien der Achtundsechziger-Bewegung konfrontiert. Dass die Jungen nicht Krieg spielen durften, mag man als gut gemeint hinnehmen. Besondere Aufmerksamkeit aber galt den Mädchen. Sie sollten bloß keine Weibchen werden.
 
Für Melanie bedeutete das Hosen statt Röcke, Autos statt Puppen, kurze Haare statt langer Locken. Alles wurde vermieden, was möglicherweise die weibliche Rolle verstärkt hätte. Melanie musste Fußball spielen, auch wenn sie keine Lust dazu hatte, und täglich wurde ihr erzählt, dass es die Hölle b¬deute, eine Frau zu sein. »Ich erinnere mich noch genau, wie ich einmal mit meiner Mutter einkaufen ging«, erzählte sie mir. »Im Schaufenster sah; ich ein pinkfarbenes Kleidchen mit Blümchenmuster und Rüschen; Völlig verzückt zeigte ich darauf: Genau das wollte ich haben! Aber meine Mutter wurde richtig wütend. Sie selber trug ja nur Jeans und T- Shirts, nie habe ich sie in einem Kostüm gesehen. Kleider seien einzig etwas für dämliche Zicken, sagte sie mir, als ich auf dem Blümchen-Outfit beharrte, so etwas käme auf keinen Fall in Frage!«
 
In der Pubertät rebellierte Melanie. Sie kaufte sich kurze Röcke und schminkte sich zum Entsetzen ihrer Mutter äußerst auffällig. Außerdem trug sie riesige Ohrringe und eine Menge klimpernder Ketten. Als sie mit hochhackigen Schuhen nach Hause kam, erhielt sie eine Ohrfeige, die erste und einzige ihres Lebens. »Du siehst jetzt so aus, wie die Männer uns immer haben wollten!«, beschimpfte die Mutter ihre Tochter. »Wundere dich nicht, wenn du vergewaltigt wirst!«
 
Es war nicht allein pubertärer Trotz, der Melanie ins andere Extrem fallen ließ. Zahlreiche wissenschaftliche Experimente haben belegt, wie unterschiedlich Mädchen und Jungen schon in frühen Jahren auf bestimmte visuelle Reize reagieren. Einjährige Mädchen schauen ihre Mütter viel länger an als gleichaltrige Buben. Und wenn man Kleinkindern unter drei Jahren Filme zeigt, so blicken Mädchen länger und intensiver Sequenzen an, die Gesichter im Mittelpunkt haben, während sich Jungen, wen wundert es, vornehmlich für Einstellungen mit Autos interessieren.
 
Jede Mutter erlebt, wie sich das bei ihren Kindern auswirkt: Man kann einem Jungen noch so viele Puppen schenken, er wird immer Bälle, Elektronik und Kampfspielzeug bevorzugen. Und auch dann; wenn man Mädchen täglich auf den Fußballplatz schickt, werden sie anschließend wieder lieber mit Puppen, Stoffen und Schmuck spielen. Der Versuch, diese Veranlagung durch erzieherische Maßnahmen zu ändern, schlägt so gut wie immer fehl, es sei denn, man verwechselt Erziehung mit Zwang.
 
Dennoch werden die Unterschiede weiter ignoriert, selbst von der Politik. Anders ist nicht zu erklären, dass heute in unseren Schulen immer stärker versucht wird, Mädchen und Jungen konsequent gleich zu behandeln. Die so genannte Koedukation, also der gemeinsame Unterricht für Mädchen und Jungen, treibt dabei die seltsamsten Blüten: So müssen Jungen oft Kochen, Backen und Nähen lernen, obwohl sie sich dafür nicht im Geringsten begeistern können.
 
Verstärkt wird das durch die Feminisierung der schulischen Erziehung. Sie befindet sich hierzulande überwiegend in Frauenhänden – der Anteil von Lehrerinnen in der Grund: schule liegt bundesweit bei über 90 Prozent, in der Sekundarstufe I bei über 70 Prozent und auch im Gymnasium ist ein Anteil von 50 Prozent erreicht, bei steigender Tendenz.
 
Dies führt dazu, dass die speziellen Begabungen von Jungen und Mädchen aus dem Blickfeld geraten. Die weltweit durchgeführte PISA-Studie hat gezeigt, dass die schulischen Leistungen wesentlich besser ausfallen, wenn Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet werden. Der Grund: Die charakteristischen Unterschiede der Wahrnehmung, des Lernverhaltens und der Stressbewältigung können dadurch besser berücksichtigt werden.
 
Diejenigen, die unter der Koedukation und der Masse der weiblichen Erzieher eindeutig leiden, das sind die Jungen. Sie dürfen ihre geschlechtsbedingte, natürliche Aggressivität nicht ausleben, sondern sollen – statt der typischen Wettkampf- und Konkurrenzspiele immer hübsch harmonisch agieren, als sei die Welt ein Bambiland. Problematisch bei der Unterdrückung typisch männlicher Kampfmuster ist, dass die Jungen nicht die dazugehörige Versöhnung lernen und auch später als Erwachsene Schwierigkeiten damit haben.
 
Dass sich dieser unterdrückte Kampfgeist Ventile sucht, liegt auf der Hand. Und so nimmt es nicht wunder, dass gerade Jungen schlechtere Schulleistungen vorweisen, mit zunehmendem Alter überproportional verhaltensauffälliger und gewaltbereiter werden als Mädchen und Frauen. Die Kriminalitätsstatistik belegt es: Vom Verkehrsdelikt bis zum Raubmord, es gibt wesentlich mehr männliche Täter als weibliche.
 

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Teil 5: Die Vermännlichung der Frau
 
Eva Herman
 
Wichtige Erkenntnisse über die physiologischen Gründe von geschlechtsspezifischen Verhaltensunterschieden lieferten die Hormonforscher. Auch das Beispiel von Bruce/Brenda hatte gezeigt, dass keine Geschlechtsänderung möglich, war, dennoch vermutete man aber einen Zusammenhang zwischen Hormonhaushalt und Verhalten.
 
Eine seltene Krankheit in Indien brachte die Wissenschaftler auf die Spur. In einer Familie verwandelten sich aufgrund eines genetischen Defekts mehrere als Mädchen geborene Kinder während der Pubertät allmählich in Jungen. Durch die falsche Hormonsteuerung veränderten sie jedoch nicht nur ihr äußeres Erscheinungsbild. Als ihnen plötzlich Barthaare wuchsen, die Stimme brüchig wurde und der Busen sich zurückentwickelte, legten sie auch ihre weiblichen Verhaltensformen ab.
 
Aus der Zoologie wusste man schon länger, dass durch gezielte Hormongaben vorübergehende Verhaltensänderungen erzeugt werden können. Bei Tierversuchen hatte man zum Beispiel herausgefunden, dass eine regelmäßige Testosteronzufuhr bei Zebrafinkenweibchen zu einer deutlichen Umformung jener Hirnareale führte, die für den Gesang zuständig sind. Als das Testosteron abgesetzt wurde, bildeten sich diese Areale auf ihre Normalform zurück. Durch die Hormongaben konnte das Weibchen also »ähnlich« singen wie ihr männliches Pendant. Ein Männchen aber wurde es dadurch nicht.
 
Spannend wird es, wenn wir uns damit auseinandersetzen, dass Hormone auch der Grund dafür sind, dass selbst kleinere Mädchen und Jungen auf unterschiedliche Art und Weise aggressiv bei Stress reagieren. Testosteron, ein vorwiegend männliches Geschlechtshormon, sorgt dafür, dass das Verhalten bei Jungen eine deutlich provokativere Komponente erhält. Das männliche Konkurrenzverhalten muss man deshalb auch als Ausdruck eines entsprechend geschlechtsspezifischen Hormonspiegels begreifen.
 
Es ist aufschlussreich, sich einmal anzusehen, was Testosteron alles bewirkt. Es lässt Muskeln wachsen und macht stark, andererseits erhöht es die Konzentration von Cholesterinlipiden im Blut, weshalb Männer eher an Herz-und Gefäßerkrankungen leiden und auch nicht so lange leben wie Frauen. Die weiblichen Hormone, etwa Östrogene oder das Gelbkörperhormon, bieten Frauen dagegen einen gewissen Schutz: vor zu viel Blutfett und auch das wird wenigstens vermutet – vor anderen Krankheiten wie. Autismus und Immunstörungen, die bei Männern in viel größerer Häufigkeit auftreten als bei Frauen.
 
Wenn Frauen heute ein anstrengendes, auf Konkurrenz beruhendes Berufsleben bewältigen müssen, kann sich ihr Testosteronspiegel erhöhen, weil er offenbar hilft, die anstehenden Aufgaben besser zu bewältigen. Bekanntlich können weibliche Sportler durch Testosteronzugaben ihre Muskeln vergrößern und auf diese Weise ihre Leistung erhöhen. Zu Männern mutieren sie dadurch zwar nicht, der Preis dafür ist jedoch eine tiefere Stimme, Ansätze von Bartwuchs und eine Zurückbildung der weiblichen Brust. Aber auch ganz normale Frauen können an sich beobachten, wie sich schon schwache Veränderungen des Hormonspiegels, ausgelöst durch belastende Lebensumstände, bemerkbar machen. Biologen wissen heute recht genau, wie sich der Hormonhaushalt von Frauen verschiebt, die männliche Verhaltensweisen übernehmen.
 
Und wie eine solche Veränderung aussieht, bekam ich aus persönlicher Erfahrung zu spüren: Als die Ehe mit dem Vater meines Kindes zu Ende war und ich mich als allein erziehende Mutter wiederfand, nahmen Stress/ Überlebensängste und Existenzzweifel in mir überhand. Eine verständliche Reaktion, denn plötzlich sah ich mich in der Verantwortung für zwei Leben – meinem und dem noch viel schützenswerteren meines Kindes. Ein Jahr nach der Trennung fielen mir die Haare büschelweise aus, ein Umstand, der keiner Frau besonders große Freude bereitet. Ich sah bereits meine Arbeit beim Fernsehen gefährdet und ließ mich ärztlich untersuchen. Der Befund war eindeutig: Mein Hormonspiegel enthielt zu wenig Östrogene, also weibliche Hormone, dafür einen deutlichen Überschuss von Testosteron.

Dass ich gleichzeitig einige Kilo Gewicht verlor, mag an den Strapazen dieser anstrengenden Zeit gelegen haben, doch auch der Östrogenmangel spielte dabei eine entscheidende Rolle. Der Gewichtsverlust sorgte dafür, dass mein Körper einige weibliche Rundungen verlor, dass ich schmaler und knabenhafter wirkte. Ganz eindeutig war ich auf dem besten Wege, mich zu »vermännlichen«, ausgelöst durch eine Überforderung.
 
Diese Beobachtung machen immer mehr Ärzte. Die hormonellen Folgen bei der Übernahme männlicher Aufgaben mit all ihren Konflikten sind beispielsweise Hautärzten gut bekannt. Viele Frauen klagen neuerdings auch jenseits der Pubertät über Akne. Der Grund für diese »Spätakne« sind meist Hormonstörungen, die durch unbewältigten Stress ausgelöst werden. Die vermehrte Ausschüttung von männlichen Hormonen führt medizinisch gesehen zu einer stärkeren Verhornung der Haut, was Akne stark begünstigt. Es ist also buchstäblich so, dass Frauen »eine dickere Haut« bekommen, wenn sie unablässig großen Überanstrengungen ausgesetzt sind. Die Kosmetikindustrie hat übrigens längst reagiert und bietet zunehmend-Anti-Akne-Produkte an, die für Frauen über dreißig gedacht sind.
 
Dass sich auch die Mode auf solche körperlichen Veränderungen einstellen muss, kann ein Blick in Boutiquen bestätigen. Die typisch weiblichen Rundungen, wie sie Östrogene erzeugen, verschwinden, die so genannte Sanduhr-Figur wird immer seltener. Daher muss bei den Schnitten der Kleidung berücksichtigt werden, dass die Hüften der Frauen allgemein schmaler geworden sind und die Oberweite kleiner – bei gleicher Konfektionsgröße.
 
Gleichzeitig veränderte sich das Schönheitsideal. Marilyn Monroe, das Sexsymbol der sechziger Jahre, trug noch Größe 42 (nach damaligen Maßstäben) heute ist es undenkbar, dass eine unserer jetzigen Film- oder Model-Ikonen mit dieser Kleidergröße Karriere gemacht hätte. Weibliche Formen sind verpönt, und die Supermodels machen uns vor, dass die perfekte Frau einzig aus Haut und Knochen besteht. Vor zwanzig Jahren wogen die Models übrigens 8 Prozent weniger als die Durchschnittsfrau, heute sind es schon 23 Prozent.
 
Wer all diese Dinge zu reinen Äußerlichkeiten erklärt, der verkennt, wie sehr die Orientierung an männlichen Rollen in den Seelenhaushalt und die körperliche Gesundheit von Frauen eingreift.
 
 
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Teil 6: Es lebe der Unterschied
 
Auch wenn sich Frauen bemühen, im Berufsleben so männlich wie möglich aufzutreten: Inzwischen sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch zu einem Thema betrieblicher Führung geworden. Dass weibliche Fähigkeiten wie Sensibilität, Einfühlungsvermögen und Empathie durchaus förderlich im täglichen Miteinander wirken, hat sich längst herumgesprochen. Doch produziert die von den Feministinnen geforderte Einheitsbehandlung: von Frauen und Männern am Arbeitsplatz zahlreiche Missverständnisse und Konflikte.
 
Männer nehmen, so hat sich gezeigt, weniger körpersprachliche Signale wahr als ihre weiblichen Kollegen. Erst wenn die Kollegin einen Weinkrampf bekommt, merken männliche Mitarbeiter, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie zeigen sich dann meist völlig überrascht, während die Kollegin bekennt, sie hätte schon seit längerem versucht, Signale auszusenden, diese seien jedoch nicht wahrgenommen worden. Wenn Männer davon ausgehen würden, dass Frauen anders kommunizieren, könnten solche Missverständnisse vermieden werden. Natürlich gilt dies auch im umgekehrten Fall.
 
Wir sollten uns damit abfinden, dass wir als Mann oder eben als Frau zur Welt kommen und damit auch spezifische Eigenschaften haben, die wir ausleben sollten, statt sie zu verdrängen. Und zwar ohne Vorbehalte und ohne inneren Widerstand. Nur wenn wir uns im Einklang mit den Gesetzen der Natur befinden, wenn wir sie erkennen und akzeptieren, kann das segensreiche Schöpfungsprinzip der menschlichen Zweigeschlechtlichkeit förderlich für uns und unsere Gesellschaft wirken.
 
Wenn ich meine eigenen Fähigkeiten betrachte, wird mir schnell klar, dass meine Stärken weder das Lesen eines Stadtplans noch eine brillante Orientierungsfähigkeit sind. Mich stört das nicht, denn es ist bekannt, dass Frauen tendenziell eine geringere Befähigung zum räumlichen Denken besitzen, Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt einige solcher praktischen Beispiele aus meinem Alltag. So empfinde ich es nicht gerade als das Höchste der Gefühle, Getränkekisten zu schleppen oder ein defektes Radio zu reparieren. Auf die meisten meiner Freundinnen trifft das ebenfalls zu.
 
Und so versuche ich erst gar nicht mehr, mich in allen Bereichen an Männern zu messen – was das Leben, hat man dieses Gesetz erst einmal akzeptiert, entschieden erleichtert. Es wird Zeit, dass wir so etwas nicht als Schwäche empfinden, sondern als naturgegebene Tatsache. Bestenfalls nehmen wir es mit Humor.
 
Populäre Bücher, in denen Frauen augenzwinkernd attestiert wird, sie könnten nicht einparken, und Männern, sie seien wortkarg und von primitiven Instinkten gesteuert, mögen auf den ersten Blick klischeehaft wirken, dennoch sind ihre Grundannahmen keineswegs falsch. Die satirische Übertreibung ist lediglich eine unterhaltsame Variante der Erkenntnis, dass es Unterschiede gibt, die kein noch so hartnäckig verfolgtes pädagogisches Konzept ausradieren kann.
 
Das betrifft Frauen wie Männer. »Wann ist der Mann ein Mann?«, fragte Herbert Grönemeyer in einem seiner erfolgreichsten Songs. Wissen Männer überhaupt noch, wer und was sie sind? Können sie sich ihrer Identität noch sicher sein im Verwirrspiel der Geschlechterrollen?
 
Grönemeyer schrieb den Song in den achtziger Jahren, und auf einmal diskutierten alle aufgeregt, ob Männer überhaupt noch echte Männer sein können, ob sie es überhaupt noch dürfen. Viele erkannten sich in der Beschreibung Grönemeyers wieder, in Sätzen wie: »Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark … Männer sind einsame Streiter; müssen durch jede Wand, müssen immer weiter.«
 
Dieser Text war auch ironisch gemeint, denn »starke Männer« waren gerade out, Konjunktur hatten die selbst ernannten starken Frauen. Vergnüglich war für mich die Beobachtung, dass die meisten Männer, die ich kannte, diesen Song damals für bare Münze nahmen und das Augenzwinkern nicht erkennen wollten oder konnten.
 
Ein gleichermaßen amüsantes wie aufschlussreiches Beispiel kann uns vor Augen führen, wie stark unsere Prägungen trotz aller Debatten sind, trotz aller Rollentauschexperimente. Stellen Sie sich vor, ein gleichberechtigt miteinander lebendes Ehepaar liegt nachts im Bett. Beide haben den ganzen Tag gearbeitet, beide sind hundemüde. Plötzlich hören sie das Geräusch von splitterndem Glas: Einbrecher! Der Ehemann seufzt: »Schatz, ich hatte einen anstrengenden Tag, schau doch mal nach, was los ist, und treib die Kerle in die Flucht.« Selbst die emanzipierteste Ehefrau würde wohl nicht mehr lange bei diesem Mann bleiben.
 
Anthropologen und Biologen sind heute in der Lage, uns zu erklären, warum wir gerade in Situationen, wo es »darauf ankommt«, auf geschlechtsspezifische Muster zurückgreifen – und warum wir Frauen uns bei Gefahr eben einen starken Mann wünschen. In. verschiedenen Studien wurden eine Fülle von Situationen analysiert, in denen sich männliche und weibliche Reaktionen deutlich voneinander unterscheiden. Man vermutet, dass im Laufe der Evolution vielfältige »Selektionseindrücke« das geschlechtsbedingt unterschiedliche Verhalten verstärkten. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass charakteristische Eigenschaften der Geschlechter über längere Zeiträume hinweg entstanden sind – und zwar durch ein individuelles Auswahlverfahren. Gewisse Merkmale bei Männern und Frauen haben sich dadurch herausgebildet, weil sie von dem jeweils anderen Geschlecht bevorzugt wurden.
 
Das Zusammenspiel von jahrtausendelang erprobten Tätigkeiten, die grundsätzlich jeweils eher von Männern oder von Frauen bevorzugt wurden, haben deutlich erkennbare Vorlieben entstehen lassen. Das erklärt, warum für Jungen vorwiegend Spielsachen begehrenswert sind, die ihre Fähigkeiten zur Verteidigung schulen, Mädchen, wiederum üben sich unbewusst in der Betreuung und dem Aufziehen von Nachwuchs, wenn sie ihre Puppen in den Arm nehmen. Und es erklärt, warum Frauen Stunden in Schuhgeschäften verbringen können – der Horror schlichtweg für jeden noch so geduldigen Partner. Der nämlich stürzt am liebsten in einen Laden, mustert kurz und genau das Angebot und verlässt das Geschäft wenige Minuten später wieder mit seiner »Beute«.
 
Warum existiert dieser fundamentale Unterschied? Weil Frauen über Jahrtausende hinweg Früchte gesammelt haben, weil sie vergleichen und sorgfältig auswählen. Das kostet Zeit. Ihre Neigung, auf das Detail zu achten, tut ein Übriges. Männer dagegen gehen selbst beim Einkauf »auf die Jagd«: Augenblicklich erobern sie das, was sie brauchen, anschließend verlassen sie den Schauplatz des Geschehens genauso schnell, wie sie ihn betreten haben.
 
Haben Sie sich auch mal gefragt, warum wir Frauen so gern Handtaschen mit uns herumschleppen? Und zwar keine winzigen Etuis, sondern am liebsten geräumige Beutel? Schlendern Sie einmal durch eine Fußgängerzone und studieren Sie diesbezüglich Frauen und Männer: Ganz gleich wie alt oder jung, wie leger oder sorgfältig angezogen, allerorten begegnen uns Frauen mit Taschen, während die Männer mit freien Händen herumlaufen. Auch dies ist ein Erbe der geschlechtsbedingten Evolution: Da Eva gern sammelt, muss sie immer die Möglichkeit haben ihre Ernte zu verstauen, um sie sicher nach Hause zu tragen. Männer dagegen horten nicht, sie beschweren sich ungern mit Einkaufsnetzen öder Taschen, weil sie unbewusst verteidigungsbereit sein wollen, und das, obwohl die Geldbörse in der Hosentasche für Diebe weit bequemer erreichbar ist, als wenn sie in einer Handtasche verstaut wäre.
 
Angesichts solcher Beobachtungen muss es ein vergebliches Unterfangen bleiben, im Namen moderner Lebensformen die Geschlechterrollen ändern zu wollen. Erst seit wenigen Jahrzehnten spielen wir im Selbstversuch den Rollentausch durch und empfehlen Frauen männliche Verhaltensweisen – ein winziger Augenblick in der Geschichte der Menschheit.
 
28. Januar 2019


https://www.eva-herman.net/taegliche-veroeffentlichungen-zum-thema-mann-frau-und-gender-teil-7-die-bindungslose-gesellschaft-warum-wir-unseren-halt-verlieren/

Teil 7: Die bindungslose Gesellschaft –

warum wir unseren Halt verlieren

 
Die Frage nach dem Grund, warum wir durch die frühzeitige Fremdbetreuung eine liebevolle Bindung an unsere Kinder aufs Spiel setzen, hat mich seit langem beschäftigt Müssten unsere Babys und Kleinkinder nicht den tief verwurzelten, natürlichen Impuls in uns aktivieren, sie nahe bei uns haben zu wollen und ihnen Schutz und bedingungslose Liebe zu geben? Das Bedürfnis der Mutter nach Nähe zu ihrem Kind ist, wie beschrieben, eine Konstante des menschlichen Verhaltens.
 
Und doch wird die Trennung von Mutter und Kind als eine selbstverständliche Handlungsmöglichkeit gesehen. Vielfach wird es als Sentimentalität abgetan, wenn eine Mutter Bedenken äußert, schon Kleinstkinder einer Gruppe anzuvertrauen, in der sie nicht die Intensität von Nähe erfahren, die in der Mutter-Kind-Beziehung möglich ist.
 
Auf der Suche nach den Ursachen dafür, dass sich Mütter freiwillig von ihren Kindern lösen, stoßen wir auf interessante Untersuchungen, die sich mit der Geschichte des Familienlebens beschäftigten. Die Anfänge der frühzeitigen Ablösung sind zunächst im 18. Jahrhundert zu suchen. So war es im Adel und bei den gebildeten Ständen üblich, die Kinder von Ammen betreuen zu lassen. Erst durch einen veränderten Zeitgeist, ausgelöst unter anderem durch die Schriften des viel diskutierten französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau, kündigte sich eine Änderung an. Rousseau hatte in seinem Roman Émile (1762 erschienen) das Ideal einer Erziehung thematisiert, welche die Kinder nicht durch »zivilisatorische Einflüsse« verdirbt. Daraufhin entschlossen sich die gesellschaftlich höherstehenden Frauen ihre Kinder wieder selbst zu stillen. Um jedoch ihre üblichen Verpflichtungen nicht zu vernachlässigen, erstellten sie einen Stillplan mit festen Mahlzeiten und geregelten Stillzeiten – eine gewaltsame Disziplinierung individueller kindlicher Bedürfnisse, die den Kindern bis zum heutigen Tage viel Elend beschert.
 
Das aufstrebende Bürgertum; übernahm diese neue Gewohnheit. Der energische Erziehungsstil war Ausdruck und damit auch Symbol politischer, kultureller und wirtschaftlicher Veränderung. Kinder hatten sich vom ersten Tag an in die erwachsene Welt der Pflichten einzuordnen, sie hatten so »pflegeleicht« wie möglich zu sein.
 
Nach und nach gaben auch Arbeiterinnen ihre Kinder weg, oft zur Nachbarin, wo sie vielfach mit Mehlbrei und Wasser, »zu Tode« ernährt wurden. Die Findelhäuser quollen über, es fehlte nicht nur die Mutterbrust, sondern auch die liebevolle Zuwendung. Die industrielle, Revolution benötigte immer mehr Arbeitskräfte, für das Stillen blieb keine Zeit. 1866 gab es das erste Nestle-Babynahrungsprodukt, und damit schienen alle Probleme endgültig gelöst.
 
Schon lange vorher war es unüblich geworden, dass Eltern und Kleinstkinder gemeinsam in einem Bett schliefen. Bereits im Mittelalter setzte sich die körperliche Distanz der Eltern zum Säugling durch. Damals predigte die Kirche, dass die Kinder wegen der hohen Sterberate durch Erstickung und Erdrücken nicht im Elternbett schlafen sollten. Das war zwar eine Behauptung, die nicht zutraf, sondern Ausdruck kirchlicher Körperfeindlichkeit, Inzestbefürchtungen eingeschlossen. Doch sie konnte sich bis zum heutigen Tag beharrlich halten.
 
Das so genannte Co-Sleeping, also das gemeinsame Schlafen von Eltern und Kind, ist alles andere als gefährlich für das Baby, das Gegenteil ist der Fall. Durch Studienversuche mit Nacht- und Wärmekameras wurde belegt: Mütter merken im Schlaf instinktiv, wenn mit ihren Kindern etwas nicht stimmt, wenn es zum Beispiel zu warm wird oder die Gefahr eines plötzlichen Kindstodes entsteht. Ohne es selbst zu bemerken, stupsen Mütter in solchen Situationen unbewusst die Kleinen an, was die Luftzirkulation sofort verändert.
 
Die einzige Ausnahme, in der zum gemeinsamen Nachtschlaf abgeraten wird, ist dann gegeben, wenn Eltern Nikotin, Drogen oder Alkohol zu sich genommen haben. In allen anderen Fällen gilt, dass das gemeinsame Schlafen einen besonders effektiven Schutz für das Baby bedeutet. Nicht zufällig ist in Kulturen, in denen Kind und Eltern heute noch zusammen in einem Bett schlafen, die Rate des plötzlichen Kindstodes viel niedriger als bei uns.
 
Dennoch wird im Rhythmus von zwei, drei Jahren regelmäßig die Behauptung aufgestellt, es sei gefährlich, wenn kleine Kinder im Bett der Eltern schliefen. Nach einigen Recherchen entdeckte ich einen der Urheber einer solchen Warnung. Es handelte sich um einen aufstrebenden Möbelhersteller, der anscheinend seinen Erfolg im Verkauf von Kinderbetten sah. Man könnte schmunzeln darüber, wären die Folgen nicht so fatal.
 
Wenn wir die Geschichte des familiären Zusammenlebens betrachten, fällt also auf, dass die räumliche und damit auch emotionale Distanz zwischen Eltern und Kindern immer stärker wurde. Selbst Mediziner fielen in den Tenor ein, als Louis Pasteur auf die Ansteckungsgefahr durch Mikroben hinwies. Ein eigenes Kinderzimmer wurde fortan als wichtige Voraussetzung für die Gesundheit des Säuglings angesehen.
 
So gibt es bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Einzelentwicklungen, die Kinder immer weiter von ihren Eltern entfernten.

 

Was viele nicht wissen: Unsere distanzierte Haltung zu unseren Kindern steht auch in einem direkten Zusammenhang mit einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, dem Dritten Reich. Die Theoretiker des Nationalsozialismus erkannten früh; dass die Frage der Kindererziehung höchste politische Relevanz hatte. Das beschränkte sich nicht auf die erwünschte Steigerung der Geburtenrate, die sich in der Auszeichnung mit dem »Mutterkreuz-Orden« für Frauen mit vielen Kindern ausdrückte. Es betraf vielmehr die konsequente Einflussnahme auf den vormals privaten, familiären Bereich von Geburt, Mutterschaft und Säuglingspflege. Es ging nicht nur darum, »dem Führer Kinder zu schenken«, sondern die Kinder so früh wie möglich nach den Maßgaben des nationalsozialistischen Menschenbilds zu formen.
 
Betrachtet man diese ideologischen Grundlagen, wird schnell klar, dass der Hitler-Staat alles daransetzte, jeden gesellschaftlichen Bereich zu kontrollieren und jede private Nische zu vernichten, in der sich individuelle Lebensformen entwickeln konnten. Verwirklichen ließ sich das nur, indem die Gruppe, das Kollektiv, die »Volksgemeinschaft« über den einzelnen Menschen gestellt wurde, eine Ideologie, die wir auch im DDR-Sozialismus immer wieder beobachten konnten. Damit wurden Kinder zum; Politikum. Um; ihre Erziehung zu nationalsozialistischen Bürgern zu gewährleisten, sollten sie der elterlichem Fürsorge so früh wie möglich entzogen werden. Es gab nur ein Problem: die emotionale Bindung der Eltern an ihre Kinder. So lag es nahe, diese konsequent in Frage zu stellen und zu zerstören.
 
Das begann damit, dass im Nazi-Staat die bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts erprobten und routinemäßig eingesetzten schmerzstillenden Medikamente während der Geburt nicht mehr verwendet werden durften. Der Geburtsschmerz sei eine Tapferkeitsprobe, so die neue Lehrmeinung. Die Gebärende wurde zur Soldatin auf dem Schlachtfeld stilisiert, und so kommentierte denn auch der nationalsozialistische Gynäkologe Walter Stoeckel die acht Schwangerschaften seiner Frau: »Sieben Geburten und eine Fehlgeburt sind sieben Gesundheitsschlachten und eine Manöveranstrengung.«
 
Die Forderung, Frauen müssten den Geburtsschmerz aushalten, hatte aber auch noch einen anderen Hintergrund: Auf diese Weise wurde die Mutter-Kind-Beziehung von vornherein negativ geprägt. Heute weiß man, dass eine massive Ablehnung des Neugeborenen durch den erlittenen Schmerz während einer Geburt möglich ist, bis hin zu Vernachlässigung und Misshandlung. Das wurde bewusst in Kauf genommen, um »übertriebene Muttergefühle« von Beginn an zu unterbinden. Um das zu unterstützen, wurde eine vierundzwanzigstündige Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt propagiert, der natürliche Impuls nach Nähe zwangsweise unterdrückt.
 
Die dramatischen Folgen dieser Trennung sind heute hinreichend erforscht, doch auch schon in den zwanziger Jahren hatten Mediziner Erkenntnisse darüber gewonnen, die nun bewusst in Kauf genommen, sogar begrüßt wurden. Eine emotionale Bindung der Mutter an ihr Kind, das so genannte Bonding, wird besonders mit der Erfahrung körperlicher Nähe zwischen Mutter und Neugeborenem nach der Geburt gefördert. Frauen, die von ihren Neugeborenen getrennt werden, kann es längere Zeit, schwerfallen, einfühlsam auf ihr Kind zu reagieren und eine innige Beziehung zu ihm zu entwickeln.
 
Den Nationalsozialisten war das nur recht. Stand schon das Geburtsgeschehen unter der Leitidee, allzu große Gefühle gar nicht erst entstehen zu lassen, setzte man dieses Denken mit den Vorgaben zur Säuglingspflege fort. In Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind legte Johanna Haarer, überzeugte Nationalsozialistin und Autorin von mehreren Erziehungsbüchern, eine umfassende Anleitung vor, wie Mütter mit ihren Kindern umgehen sollten. Das schaurige Werk der Münchner Ärztin mit ihren entsetzlichen Empfehlungen erschien erstmals 1934 und wurde bis zum Ende des Krieges mehr als eine halbe Million Mal verkauft. 1936 kam Unsere kleinen Kinder auf den Markt, ebenfalls ein Bestseller. Es wurde das Grundagenwerk der »Reichsmütterschulung« und galt als wegweisend.
Zwei Gedanken prägten Johanna Haarers Bücher: die physische Trennung von Mutter und Kind und die emotionale Distanz.
 
Eindringlich warnte sie vor einem »Übermaß an Liebe« und empfahl, den Säugling einzig zum Stillen in den Arm zu nehmen. Mit anderen Worten: Wenn das Baby schreit, lautete die Devise: »Schreien lassen«; »Liebe Mutter, werde hart«, gab Haarer zu verstehen. »Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bette herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten.« Das Stillen war allein zu festgelegten Zeiten erlaubt und sollte so rasch und nüchtern wie möglich erfolgen, da es ohnehin jeder Frau »auf die Nerven gehe«. Denn »sonst geht ein endloser Kuhhandel mit den kleinen Plagegeistern los«.
 
Plagegeister? Die Schriften der Johanna Haarer degradieren Kinder systematisch zu widerspenstigen Störenfrieden, die man besser nicht zu nah an sich heranlässt. »Kleine Nichtsnutze« nennt sie den Nachwuchs, Erziehung ist für sie der Kampf gegen den Willen des Kindes, alle elementaren menschlichen Gefühle werden als »Affenliebe« eingestuft. Zärtlichkeiten waren verpönt, Küsse wurden mit dem Hinweis auf »Tuberkelbazillen« als Gesundheitsrisiko eingestuft. Generell empfiehlt sie »das Unterlassen jeder unnötigen Beschäftigung« mit dem Kind. »Pflege und Wartung« seien dis¬zipliniert durchzuführen – eine Wortwahl, die eher an Autos erinnert als an den Umgang mit Kindern.
 
Alle kindlichen Bedürfnisse nach Geborgenheit und Nähe werden als Tyrannei bewertet, im Zentrum der Mutter-Kind-Beziehung stand für Haarer das Postulat, das Kind zur »Selbständigkeit« zu erziehen. Was damit wahrhaft gemeint war, ist klar: Es ging darum, bindungslose Kinder heranzuziehen, die sich früh in das nationalsozialistische Erziehungssystem integrieren ließen. Soldatische Tugenden wie Disziplin und Gehorsam wurden den Kindern vom ersten Schrei an abgefordert, das Bereitstellen von Nachwuchs, der sich mühelos in das System eingliedern ließ, war oberstes Gebot. Der NS-Pädagoge K.F. Sturm schwärmte denn auch von jungen Menschen, die die Erfahrung des »deutschgemeinschaftlichen Lebens« machten, und Reichsminister Wilhelm Frick forderte die »gliedhafte Einordnung« ins »Volksganze«. »Der Privatmensch existiert nicht mehr, er ist begraben.«
 
AU das klingt heute erschreckend, die politischen Folgen sind bekannt. Und so ist es kaum zu verstehen, dass Johanna Haarers Werke nach dem Krieg nicht etwa in Vergessenheit gerieten, sondern seit den fünfziger Jahren zahlreiche Neuauflagen erlebten. Rund 1,2 Millionen dieser Bücher sind über den Ladentisch gegangen, die letzte Auflage erschien 1987I
 
Die Theorien von Haarer prägten somit mehrere Generationen von Müttern, und damit auch noch die Kinder, die in den fünfziger und sechziger Jahren geboren wurden und heute Mütter werden. Das muss man wissen, wenn man sich fragt, warum Frauen heute offenbar leichten Herzens dazu bereit sind, Kleinstkinder und sogar Babys wegzugeben, um wieder zu arbeiten. Und es macht uns auch klar, dass Bücher wie Jedes Kind kann schlafen lernen – hier werden beispielsweise Methoden empfohlen, das Baby minutenlang in seinem Bettchen schreien zu lassen, während Mutter oder Vater mit der Stoppuhr vor der Kinderzimmertür ausharren – sich heutzutage jahrelang auf den Bestsellerlisten finden. Ohne die nationalsozialistische Anleitung von einst, es bedürfe nur der fachgerechten »Pflege und Wartung« von Säuglingen, wäre das nicht möglich.
 
Die Geringschätzung der Bindung, die Ablehnung der »kleinen Plagegeister« und »Nichtsnutze« mit ihrem Wunsch nach mütterlicher Nähe und Aufmerksamkeit hat also eine unheilvolle Tradition in Deutschland, die sich im System der DDR fast nahtlos fortsetzte. Kinder wurden letztlich als »Sand im Getriebe« gesehen, als Störfaktor im wirtschaftlichen Geschehen, und die frühe Fremdbetreuung hatte überdies den Vorteil, sie von vornherein der privaten Obhut zu entziehen und sie auf die staatliche Ideologie einzustimmen.
 
Auch wenn heute vordergründig keine Gedanken dieser Art mit der Forderung nach frühester Fremdbetreuung von Kindern verbunden sind, so muss man die Vorrangstellung der Berufstätigkeit vor den emotionalen Bedürfnissen dennoch als ideologische Einflussnahme bezeichnen: Die ökonomischen Anforderungen stehen heute im Verdacht, den Rang einer Weltanschauung und Lebenseinstellung eingenommen zu haben. Wir sollen »opferbereit« sein wie die Mütter im Nationalsozialismus, wir sollen unsere Gefühle unterdrücken; uns von ihnen befreien, um ohne Sehnsüchte und ohne schlechtes Gewissen unserer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
 
Bei der Frage von Babykrippen und Betreuungseinrichtungen gilt daher nicht ohne Grund das Motto: »Je früher, desto besser. Wer sich bindet, ist schwach; wer sich möglichst nüchtern verhält und Bindungen vermeidet) ist am ehesten in der Lage, sein Kind fröhlich lächelnd in fremde Hände zu geben.« In Einrichtungen, wo es versorgt, aber, ganz be¬stimmt nicht auf den Arm genommen und mit Zärtlichkeiten bedacht wird. Johanna Haarer wäre zufrieden.
 

 

Teil 8: Strategien des Glücks
 
Die Verantwortung, die unsere Politik und auch wir als Gesellschaft für unsere Kinder haben, ist gar nicht zu überschätzen, doch die Gratwanderung im Bemühen, alles richtig zu machen, ist äußerst schwierig. Die Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten: Wie nehmen wir die Verpflichtung für unsere Kinder in der Zukunft wahr? Was möchten wir ihnen vermitteln? Wie viel Sicherheit und Selbstbewusstsein können und müssen wir ihnen mit auf den Weg geben? Dürfen wir das Risiko eingehen, sie emotional verwahrlosen zu lassen? Dürfen wir ihnen verwehren, in der Familie Bindungsqualitäten zu erleben, die später ihre gesamten Beziehungen prägen werden? Wollen wir distanzierte, emotional kühlere Beziehungen oder ein herzliches, liebevolles, fürsorgliches Miteinander? Wie soll unsere Gesellschaft aussehen? Unsere Zukunft?
 
Es sind Fragen; die jeden Menschen nachdenklich machen sollten. Und ich möchte allen Müttern und Vätern ans Herz legen, genau abzuwägen, ob es wirklich unabdingbar ist, dass beide Elternteile kurz nach der Entbindung wieder arbeiten gehen müssen. Ist der wirtschaftliche Druck tatsächlich so hoch? Oder ist es nicht vielmehr die öffentliche, gesellschaftlich anerkannte Meinung, durch die wir uns leiten lassen?
 
Eine Mutter, die sozial gut eingebettet ist, also über, ein Umfeld verfügt, das sie in der Betreuung unterstützt, sollte sich dreimal überlegen, ob sie ihr Kind in den ersten, prägenden Jahren nicht lieber zu Hause großzieht oder ob sie es wirklich in eine vielleicht ungewisse Umgebung abgibt. Immerhin ist in Westeuropa und in den USA eine Umorentierung hin zu ursprünglichen Modellen bereits sichtbar.
 
Rooming-in, Hausgeburten und Stillen nach Bedarf sind, wenn auch langsam, wieder auf dem Vormarsch. Immer mehr Eltern versuchen, sich von überkommenen Erziehungsvorgaben zu lösen und ihren eigenen Weg zu finden, jenseits von starren Theorien.
Der Hamburger Soziologe Heinz Bude, Experte auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland, schrieb 2003: »Es ist vielen klar, dass die Bundesrepublik nach dem Ende ihrer glücklichen Zeit auf die Haltekonstruktionen des Sozialstaates nicht mehr bauen kann. Deshalb nimmt der Bedarf an Selbstverantwortung und Eigeninitiative zu. Das ist der Kern des Bürgers. Er ist für sich selbst verantwortlich. Zu den alten und neuen Tugenden gehören Sitte, Höflichkeit, Disziplin, Respekt und Familienstolz.«
 
Emotionen haben uns seit jeher geleitet. Sie sind gewissermaßen die für uns hörbaren Töne, die das Orchester unserer Instinkte erzeugt. Wenn dieses Orchester aufspielt, so läuten bei uns alle Glocken. Das Lied, das aufgeführt wird, ist von der Natur komponiert. Und es ist einfach. Nach Millionen Jahren der natürlichen Anpassung sind aber nur die Noten übriggeblieben, die dem Leben und dem Überleben dienen. Mütter und auch Väter sollten deshalb in sich hineinhorchen und sich durch ihr inneres Gefühl leiten lassen. Es handelt sich nicht um naive. Naturromantik, um ein einfaches »Zurück zur Natur«, wenn hier die Wichtigkeit der Nähe und Intensität zwischen Mutter, Vater und Kind, als unser natürliches Erbe hervorgehoben wird.
 
Wir sollten heute sehr sorgsam abwägen, wie wir unser Leben gestalten möchten, welchen Stellenwert wir unseren Kindern geben wollen und welche Glücksversprechen damit verbunden sind. Einen individuellen Entwurf zu finden ist die Herausforderung an jede Mutter und jeden Vater.
 
Wir haben durchschnittlich vierzig Jahre Zeit, um unsere beruflichen Wünsche und Ziele zu verwirklichen. Die moderne Medizin mit ihren lebensverlängernden Maßnahmen ermöglicht uns überdies eine höhere Lebenserwartung. Dagegen wirkt der Zeitraum unverhältnismäßig kurz, der uns als Mütter und Vätern bleibt, um unseren Kindern die Sicherheit und Liebe zu geben/ die sie benötigen, um stabile, gesunde und fröhliche Menschen zu werden: Auch wenn es auf diesem Weg immer wieder Momente geben wird, in denen es uns schwerfällt, allem gerecht zu werden, so wissen wir doch; dass es Millionen von Eltern in ähnlichen Situationen nicht anders ergeht. Entmutigen lassen sollten wir uns daher nicht.
 
Als der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren im Oktober 1978 in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde, hielt sie eine eindrucksvolle Rede, die ihr zunächst untersagt worden war. Sie hätte auf den Preis verzichtet, wäre es beim Verbot geblieben. Der Titel ihres Vortrags lautete: »Niemals Gewalt!« Und hiermit war nicht nur die körperliche, sondern vor allem die Verletzung der Kinderseelen gemeint. Unter anderem heißt es darin: »Blicken wir nun einmal zurück zu den Methoden der Kindererziehung früherer Zeiten. Ging es dabei nicht allzu häufig darum, den Willen des Kindes mit Gewalt, sei sie physischer oder psychischer Art, zu brechen? Wie viele Kinder haben ihren ersten Unterricht in Gewalt >von denen, die man liebt<, nämlich von den eigenen Eltern, erhalten und dieses Wissen dann der nächsten Generation weitergegeben.
 
Ja, aber wenn wir nun unsere Kinder ohne Gewalt und ohne irgendwelche straffen Ziele erziehen, entsteht dadurch schon ein neues Menschengeschlecht? Das in ewigem Frieden lebt? Etwas so Einfältiges kann sich wohl nur ein Kinderbuchautor erhoffen! Ich weiß, dass es eine Utopie ist. Und ganz gewiss gibt es in unserer armen, kranken Welt noch sehr viel anderes, was, gleichfalls verändert werden muss, soll es Frieden geben. Aber in dieser, unserer Gegenwart gibt es – selbst ohne Krieg – so unfassbar viel Grausamkeit, Gewalt und Unterdrückung auf Erden, und das bleibt den Kindern keineswegs verborgen. Sie sehen und hören und lesen es täglich, und schließlich glauben sie gar, Gewalt sei, ein natürlicher Zustand. Müssen wir ihnen dann wenigstens nicht daheim durch unser Beispiel zeigen, dass es eine andere Art zu leben gibt?«
 
Was ihr säet, werdet ihr ernten, so steht es in der Bibel. Es sind kleine Körnchen, die wir ins Erdreich legen, die Ernte jedoch wird riesig. Im Guten wie im Schlechten.
 
 
https://www.eva-herman.net/taegliche-veroeffentlichungen-zum-thema-mann-frau-und-gender-teil-9-der-gezaehmte-mann-und-die-verlorene-weiblichkeit/

Teil 9: Der gezähmte Mann und die verlorene Weiblichkeit
 
Die Feministinnen setzten alles daran, den Mann zu dämonisieren. Sex wurde als Bedrohung gesehen, und höchstes Ziel war die »Zähmung« der »bösen« Männer. Oder gleich ihre Abschaffung. Immer wieder mischten sich die Frauenrechtlerinnen hartnäckig in den intimsten Bereich der Frauen ein, Gesten, Berührungen, jeder Blick des Mannes wurde als sexistische Demütigung gebrandmarkt.
 
Im Umkehrschluss waren nun alle weiblichen Signale verpönt. »Burn your bra!« (»Verbrenne deinen BH!«), lautete einer der ersten feministischen Schlachtrufe in den USA. In Parks und auf dem Campus von Universitäten verbrannten junge Frauen ihre Büstenhalter auf lodernden Scheiterhaufen. Reizwäsche wurde ebenso als Aufforderung für männliche Unterdrückung angesehen wie hochhackige Schuhe, feminine Kleidung oder geschminkte Lippen.
 
Das gesamte weibliche Erscheinungsbild sollte verschwinden, die Folge war der Siegeszug des sogenannten Unisex-Look. Frauen, speziell in Deutschland, kleiden sich noch heute vielfach geschlechtsneutral, sie tragen Hosen, Anzüge, flache Schuhe. Das uralte Spiel: zwischen Mann und Frau ging dadurch mehr und mehr verloren. Und in Vergessenheit gerieten neben den Äußerlichkeiten zunehmend auch die inneren Qualitäten, weibliche Tugenden, die Ausgleich, Vermittlung und Friedfertigkeit in die Welt bringen und einen Gegenpol zum männlichen Prinzip von Kampf und Krieg darstellen. Wir brauchen diese weiblichen Fähigkeiten dringender denn je sie im Namen des Feminismus zu verdrängen und Frauen zu vermännlichten »Soldaten« zu machen, gehört zu den großen Irrtümern des feministischen Zeitgeistes. Die Latzhose war nicht zufällig einst die Uniform des Feminismus. Damit betonten Frauen: »Ich will auf keinen Fall als Frau gesehen werden.«
 
Doch ob mit oder ohne »Penetration«: Die vermeintlich »freie Liebe« führte rasch zu einer Katerstimmung, die seelischen Verletzungen durch permanente Untreue waren irgendwann nicht mehr zu übersehen. Das Experimentieren mit Sex als Selbsterfahrung ging schnell in eine Phase der Ernüchterung über.
 
Auch die Enttabuisierung der Abtreibung hatte Spätfolgen. Im Sommer 1971 erschien ein Stern-Titel mit dreißig abgebildeten Frauen, die zugaben: »Wir haben abgetrieben!« Darunter waren so prominente Frauen wie Senta Berger, Romy Schneider und Sabine Sinjen. Vierunddreißig Jahre später befragte das Magazin Cicero einige dieser Frauen, wie sie die Aktion aus heutiger Sicht sehen. Fast alle reagierten nachdenklich, viele hatten noch Schuldgefühle, werteten die Abtreibung im Nachhinein als »schreckliches Erlebnis«.
 
Solche Gefühle passten lange nicht ins Bild. Alles zielte darauf ab, den Frauen; Empfindungen auszureden, weder sollte Sex an Liebe gebunden sein noch durfte das Gefühl für das ungeborene Leben Raum erhalten. Heute wissen Frauen, dass häufig wechselnde Sexpartner eine Weile aufregend sein mögen, dass sie aber auf Dauer nicht glücklich machen können.
 
   
https://www.eva-herman.net/taegliche-veroeffentlichungen-zum-thema-mann-frau-und-gender-teil-10-zerstoerung-der-familie/
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Teil 10: Zerstörung der Familie
 
Sicher ist: Die Ehe wird nicht mehr automatisch mit Kindern verbunden. Und selbst die Mutterschaft ist nicht mehr selbstredend an eine feste Partnerschaft geknüpft. In ihrer Hilflosigkeit beschließen immer mehr Frauen, Kinder zu bekommen, ohne einen Ehemann oder eine längerfristige Bindung zu haben. Ein zukunftsfähiges Modell? Wohl kaum. Auch wenn die Prägung durch den Fortpflanzungswunsch einen hohen Variantenreichtum von Familienstrukturen in unterschiedlichen Kulturen erzeugt hat. Während sich in unserer westlichen Gesellschaft die Einehe durchgesetzt hat, sind uns aus anderen Völkern auch die Vielehe (Polygamie), die Vielweiberei (Polygynie) oder auch die Vielmännerei (Polyandrie) bekannt. Der Grund ist immer der gleiche: ideale Bedingungen für möglichst viele Nachkommen zu schaffen und die Frauen zu versorgen.
 
Nicht alles, was uns dabei primitiv oder rückständig erscheint, ist es auch. Obwohl uns beispielsweise die Lebensform des orientalischen Harems tief befremdet, weil wir ihr von vornherein die Unterdrückung und Entwürdigung der Frau unterstellen, kann man auch etwas ganz anderes daran ablesen: Vielfach diente sie der Absicherung von Frauen und Kindern in armen Regionen. Es war ein System der Großfamilie, in der das männliche Familienoberhaupt zwar absolute Verfügungsgewalt hatte, gleichzeitig aber auch die existenzielle Verantwortung für seine Frauen und Kinder übernahm. Ein Versorgungssystem also, das nur entsprechend wohlhabenden Männern vorbehalten war. Als eine tunesische Regisseurin vor einigen Jahren einen Spielfilm mit dem Titel Harem drehte und genau diese These anschaulich bebilderte, entbrannte sofort ein Streit, der die Feministinnen auf den Plan rief. Differenzierungen solcher Art wären eben nicht erwünscht.
 
Jede Gesellschaftsform entwickelt Modelle, die sich den lebensnotwendigen Verhältnissen und den wirtschaftlichen Möglichkeiten anpassen, um die Fortpflanzung zu sichern. Es spricht wenig dafür, dass sich diese Strategie der Natur beim Menschen der Gegenwart plötzlich verflüchtigt hätte. Die Forderung, dass wir heute völlig frei und losgelöst von unseren biologischen Grundlagen leben sollten, ist mehr als absurd. Wir mögen sie mit dem Verstand ablehnen, einengend finden, uns dagegen auflehnen – wirksam bleiben sie dennoch. Wie sollte sich beim Menschen die Evolution gleichsam selbst überlistet haben?
 
Aus dem einstigen, Tabu, keine Kinder zu wollen, ist heute häufig das Tabu geworden, zum uneingeschränkten Kinderwunsch zu stehen. Kinderreiche Familien, müssen sich Sätze gefallen lassen wie »Haben die denn keine anderen Hobbys?« oder: »Die vermehren sich ja wie die Kaninchen!« Sex mit darauffolgender Schwangerschaft? Wie rück¬ständig, wie altmodisch! Genauso, als wäre das jetzt unsere wahre Natur.
 
Dabei geht mehr verloren als der Nachwuchs. Intensive Gefühle beispielsweise; die dafür sorgen, dass man sich innerhalb der Familie aufeinander verlassen kann, auch Gefühle wie Liebe, Treue, Solidarität und Loyalität. Übrig; geblieben ist lediglich eine rasch wechselnde Empfindungswelt, die unverbindlich bleibt. Sie kennt weder Dauer noch Verpflichtung oder Verantwortung. Als Basis zur Gründung einer Familie reicht sie nicht aus.
 
Und so laufen alle derzeit herrschenden Vorstellungen darauf hinaus, das Elternwerden unter den vielfältigsten Vorwänden hinauszuschieben. Man vertagt es aus Furcht vor Lasten und Mühen, ohne zu bemerken, dass gerade Kinder oft jene Kraft schenken, die die Unannehmlichkeiten überwinden hilft. Wir gewähren den Kindern nicht die Zeit, auf die Welt zu kommen. Wir sind abgelenkt durch uns, unser Tun, durch Pläne, Eile und manchmal auch Zerstreuungen. Ein Kind, das zur Entfaltung eines: Paares beitragen kann, wird vertagt. Dabei kann man häufig beobachten, dass erst mit einem Kind positive Eigenschaften zum Vorschein kommen, die vorher ungenutzt schlummerten. Frauen verlieren oft ihre Ichbezogenheit, sind bereit, vorbehaltlos zu lieben, wenn sie ihr Baby im Arm halten, Männer spüren eine nie gekannte Verantwortungsbereitschaft und Nachgiebigkeit.
 
Doch so, wie viele zögern, Eltern zu werden, zögern noch mehr, überhaupt eine Ehe einzugehen. Häufig heiraten Paare nach vielen Jahren des Zusammenlebens und trennen i sich dann kurz danach wieder. Warum? Vielleicht, weil die Heirat nicht zum richtigen Zeitpunkt stattfand, weil sie zu lange verschoben wurde. Unsere Vernunft rät uns zur Skepsis, unser Verstand zeigt uns lauter Risiken auf. Das kann verhängnisvoll sein, weil uns unsere Unentschlossenheit stetig verunsichert und wir irgendwann gar nicht mehr fähig sind, lebensbejahende Entscheidungen zu treffen. Möglicherweise gilt für die vertagte Ehe und das vertagte Kind, was auch für die Lernprozesse in der Kindheit zutrifft, nämlich, dass alles zu seiner Zeit zu geschehen hat. Wenn ein Kind nicht in dem entsprechenden Entwicklungsabschnitt zu laufen, zu sprechen und zu schreiben gelernt hat, wird es später außerge¬wöhnliche Probleme bekommen, dies nachzuholen.
 
1. Februar 2019


https://www.eva-herman.net/taegliche-veroeffentlichungen-zum-thema-mann-frau-und-gender-teil-11-die-machtansprueche-des-feminismus-warum-wir-unsere-weiblichkeit-verdraengen/

Teil 11: Die Machtansprüche des Feminismus –

warum wir unsere Weiblichkeit verdrängen

 
Neulich hörte ich in einem Interview einen Satz, den ich mir spontan notierte: »Die Geschichte der Frauenbewegung kann man auch als Entwertungsgeschichte schreiben, in der Frauen die spezifische Identität ihres Geschlechts verloren haben.«
 
Kluge Worte. Denn sie bringen auf den Punkt, was schon seit langem offensichtlich wird: dass der Feminismus das Frausein so lange diskutiert und kritisiert hat, bis nichts mehr davon übrigblieb. Wir Frauen sind entwertet worden und haben selber maßgeblich dazu beigetragen. Wir haben zugelassen, dass uns jene Werte genommen wurden, die uns als weibliche Wesen leiten können, die uns helfen, unsere weibliche Rolle zu finden und zu leben.
 
Gesagt hatte den Satz Katharina Rutschky, Jahrgang 1941, eine Publizistin, die mit ihrer Kritik an der Frauenbewegung immer wieder bei ihren feministischen Schwestern aneckt und regelmäßig Drohbriefe bekommt. Einmal mehr sah ich die Bestätigung dafür, dass die Frauenbewegung nicht nur gegen Männer kämpft, sondern auch gegen Frauen. Gegen jene nämlich, die es wagen, eine andere Meinung zu haben. Feminismus ist letztlich nichts anderes als eine Form von Fundamentalismus, dachte ich, rette sich, wer kann! Denn der Begriff Fundamentalismus bezeichnet eine religiöse oder weltanschauliche Strömung, die in sich starr bleibt und nicht diskutiert werden darf.
 
Als ich dann kurze Zeit später auch noch auf die »Bibel der Frauenbewegung« aufmerksam wurde, Das andere Geschlecht von Simone de Beauvoir, vervollständigte sich das Bild: Die Frauenbewegung scheint eine Art Religionsersatz zu seih.
 
Simone de Beauvoirs Buch erschien 1949. Darin formulierte sie ihren Kerngedanken: »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.« Was war das für eine Autorin, die so etwas schrieb? Warum lehnte sie ihr Frausein so heftig ab? Ihre Biographie erklärt einiges. Als Tochter aus einem bildungsbürgerlichen Haus wuchs sie auf; als sie zwölf war, ereignete sich dann ein Schlüsselerlebnis. Ihr Vater, den sie wegen seiner Belesenheit und Klugheit bewunderte, sah sie an und sagte: »Wie hässlich du bist!« Es war ein Schock. Ausgerechnet zu Beginn der Pubertät, in einer Lebensphase, in der ein Mädchen zur Frau wird, fühlte sie sich in ihrem Frausein herabgesetzt und gedemütigt.
 
Auf der Stelle änderte sie radikal ihr ganzes Leben. Sie achtete bewusst nicht mehr auf ihr Äußeres und beschloss, sich nur noch mit Geist und Intellekt zu beweisen. Nahezu besessen lernte sie/paukte sogar während des Essens Vokabeln. Sie wollte nicht mehr als Frau gesehen werden, sondern ausschließlich auf dem Feld der Männer anerkannt sein. Das bedeutete für sie: Philosophiestudium, Berufstätigkeit, Ablehnung der Ehe, Kinderlosigkeit. Alle weiblichen Signale vermied sie. Ihr Haar flocht sie zu Zöpfen, steckte sie am Kopf fest und zog einen Turban darüber. Einzig am Wochenende soll sie die Zöpfe gelöst und das Haar gekämmt haben.
 
Als sie sich in den Philosophen: Jean-Paul Sartre verliebte, stand für sie sofort fest, dass sie auf keinen Fall heiraten wollte. Als er ihr dennoch einen Antrag machte, schrieb sie ihm, die Ehe sei »eine beschränkende Verbürgerlichung und institutionalisierte Einmischung des Staates in Privatangelegenheiten«. Die beiden schlossen einen Pakt, der vorsah, dass sie zwar ein Paar sein wollten, doch ohne körperliche Treue, ohne gemeinsame Wohnung, ohne Verpflichtungen. Sie lebten stets getrennt, meist in Hotels, nie kochte sie für ihn, stets aßen sie in Restaurants.
 
Sicher, das wirkte damals unerhört modern und mutig. Doch mal ehrlich: Man ahnt, dass so etwas nicht ohne Dramen, ohne Eifersucht, ohne Verletzungen ablaufen kann. Zeitweise lebten Simone und Jean-Paul in einer Beziehung mit zwei jungen Frauen und einem jungen Mann, beide hatten sie zahllose Affären; Sartres Frauenbedarf war ohnehin immer hoch gewesen, Simone versuchte es mit Frauenhebe; Es erscheint wie ein Experiment mit der eigenen Seele
 
Jeder Mensch hat das Recht, sich zu irren; keine Frage. Doch ausgerechnet die Beauvoir wurde zur Ikone der Frauenbewegung. Sie galt als Vorbild und war Urheberin einer, ganzen Reihe von Ideen, die sich in den Köpfen und Herzen der Frauen festsetzten, Ideen, die mir aus meiner heutigen Sicht wie Gift erscheinen.
 
Als Erstes formulierte die Französin eine Kriegserklärung. Da Männer Frauen unterjochen, so Simone de Beauvoirs Argument, sei es mit dem Frieden vorbei: »Jede Unterdrückung schafft einen Kriegszustand.« Das Frausein urteilte sie ab: »Die Auseinandersetzung wird so lange dauern, als Mann und Frau sich nicht als ihresgleichen anerkennen, das heißt, solange sich das Frausein als solches festsetzt.« Zur Ehe befand sie: »Heiraten ist eine Pflicht, einen Liebhaber nehmen, ein Luxus.« Und natürlich war die Berufstätigkeit der Frau für sie der einzige Weg, sich des ungeliebten Frauseins zu entledigen: »Wenn die Mutter mit derselben Berechtigung wie der Vater die materielle und moralische Verantwortung für das Paar übernähme, würde sie dasselbe bleibende Ansehen genießen.« Über Mutterschaft äußerte sie sich dementsprechend negativ: »Die Mutterschaft ist schließlich immer noch die geschickteste Art, Frauen zu Sklavinnen zu machen.«
 
Man kann kaum ermessen, was diese Sätze anrichteten. Und wie wirkmächtig sie bis heute sind. Die Verunsicherung sitzt immer noch tief, Ängste wurden geschürt, Feindbilder entworfen, und das Ganze mündete in ein Lebensmodell, das Frauen zu einsamen Amazonen machte. Ohne Bindung, ohne Familie, ohne Kinder. Immer kampfbereit, selbst dann noch, wenn sie sich verliebten. Es sind Sätze, die Deutschlands führende Feministin Alice Schwarzer fortan in ihren Büchern aufgriff und variierte.
 
Selten oder nie wagte eine Frauenkämpferin die Frage zu stellen, ob all das denn glücklich mache, ob es sich bei diesen Annahmen nicht um Irrtümer und Einbahnstraßen handeln könnte. Und so wurde buchstäblich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet – wo war da noch Platz für Kinder, und nicht zuletzt für Männer?
 
Die Geschichte des Feminismus begann übrigens weit vor der Arbeit Simone de Beauvoirs und hatte durchaus viel Gutes zur Folge. Immer wieder gab es Strömungen, die sich schließlich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts verdichteten! Aktive Streiterinnen wie Anita Augsburg, Gertrud Bäumer oder Uly Braun traten ihren Weg an und kämpften für mehr Gerechtigkeit für Frauen. Ihren Erfolgen haben wir es zu verdanken, dass den Grundrechten für alle Menschen gleichermaßen Geltung verschafft wurde. So dürfen Frauen in Deutschland seit 1900 studieren, seit 1918 ist es ihnen möglich, das Wahlrecht auszuüben.
 
Es ist nicht verwunderlich, dass der Zeitgeist der Befreiung aus der Weiblichkeit seinen Ausdruck auch in der Mode fand. Die berühmte Hutmacherin und Modedesignerin Coco Chanel erfand den Anzug und die Krawatte für die Damengarderobe. Sie selbst bevorzugte einen klaren, puristischen Stil ohne Schnörkel und Rüschen, trug Blusen zu Hosen und Krawatten, verzierte diese mit Uniformknöpfen und -bordüren. Es dauerte nicht lange und sie hatte die Alleinherrschaft der Röcke und Kostüme in den Schränken der Frauen beendet.
 
Politisch, kulturell und gesellschaftlich war also bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein Umbruch in den Geschlechterrollen festzustellen. Diese Entwicklung fand in Deutschland ihr jähes Ende durch die nationalsozialistische Regierung, die für die Frau nur eine Rolle vorsah, die der Mutter. Erst nach dem Krieg setzten die Feministinnen ihre aktive Arbeit, die sie jahrelang nur im Untergrund betrieben hatten, fort.
 
Aus dem ursprünglichen Ansinnen, allgemeine Menschenrechte für Frauen durchzusetzen, ist inzwischen ein erbitterter, zum Teil auch unwürdiger Geschlechterkampf geworden, der die Fronten zwischen Männern und Frauen verhärten ließ und; uns dorthin führte, wo wir jetzt stehen. Wir Frauen haben uns durch dieses Gefecht entwerten lassen, und wir haben selber maßgeblich dazu beigetragen, dass uns jene Werte genommen wurden, die uns helfen, unsere Weiblichkeit zu leben.
 
 

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Teil 12: Der hohe Preis der Emanzipation
 
Wie stark diese Thesen der Feministinnen in das Leben vieler Frauen eingriffen, wurde mir bewusst, als ich vor einiger Zeit Birgit traf. Als ich sie kennen lernte, war sie Anfang zwanzig gewesen und ich vielleicht zwölf oder dreizehn. Es war auf der Geburtstagsfeier meiner Freundin Conny, gerade wurden die Kerzen auf der Geburtstagstorte angezündet, als Birgit damals hereingeschneit kam, Connys Cousine aus Frankfurt. Birgit mit der lila Latzhose und den frechen Sprüchen. Feuerrot leuchteten ihre Haare, und statt artig »Guten Tag« zu sagen, warf sie sich breitbeinig auf einen leeren Stuhl und sagte: »Was’n das für eine müde Party hier?«
 
Wir waren sprachlos. Solche Frauen kannten wir zu dieser Zeit nicht, so etwas gab es einfach nicht in unserem kleinen Ort im Harz. Bücher wie Brave Mädchen kommen in den Himmel. Böse kommen überall hin waren noch nicht geschrieben. Wir sahen uns betreten an. So etwas machte man doch nicht, so etwas durfte man doch nicht, oder? Aber im Grunde unseres Herzens fanden wir Birgit unwiderstehlich – und hätten wohl alles darum gegeben, um unsere braven karierten Faltenröcke und unsere weißen Kniestrümpfe gegen ihre ausgebeulte Latzhose einzutauschen, gegen das verwaschene Ringel-T-Shirt und die Gesundheitslatschen, in denen sie trotz des kühlen Wetters barfuß lief. Pippi Langstrumpf war erwachsen geworden! Eine Außerirdische war das! Und zwar eine sehr vergnügte Außerirdische.
 
Statt Torte zu essen, zündete sich Birgit eine Zigarette an. Der nächste Schock; »Kennt ihr den neuesten Spruch?«, fragte sie uns. »Als Gott den Mann erschuf, übte sie nur.« Es dauerte eine ganze Weile, bis der Groschen fiel. Dann erzählte sie, dass sie gerade auf einer Demo gewesen sei, dass sie ein bisschen studierte und nebenbei in einer Kneipe jobbte! Sie wohne in einer WG, vor allem aber betonte sie, dass sie »emanzipiert« sei. Emanzipiert? Wir hatten nur eine höchst vage Vorstellung, was es damit auf sich haben könnte. Aber Birgit erklärte es uns auch ohne weitere Aufforderung: Die Männer seien alle elende Machos; Frauen müssten ihr Leben selbst in die Hand nehmen, deshalb dürften sie niemals heiraten. Und» mit einem Blick auf die Geburtstagstorte: »Oder denkt ihr im Ernst, dass ich studiere, damit ich mich später hinstelle und so eine dämliche Torte backe?«
 
Das alles ereignete sich Anfang der siebziger Jahre. Was wir nicht ahnten. Weltweit hatte der »Feminismus seinen Kampf begonnen. Nicht dort, wo wir lebten, nicht in den Durchschnittsfamilien, sondern an den Universitäten und in der Medienöffentlichkeit. Die Gesellschaft war im Aufbruch. Speziell in Deutschland trat eine neue Generation an, die sich vom Schatten des Dritten Reichs befreien wollte, die nach neuen Lebensformen und neuen Werten suchte.
 
Schließlich war die Vatergeneration gescheitert, so sah man es jedenfalls. Hatten die wenigen Väter, der Achtundsechziger-Generation, die heil aus dem Krieg heimgekehrt waren, nicht »Hurra« geschrien, als Hitler sein Programm verkündete? Oder, geschwiegen? Auch die Mütter taugten scheinbar nicht mehr als Vorbild. Waren sie nicht allesamt sturzspießige Hausfrauen und ergebene Dienerinnen ihres Mannes und ihrer Familien? Hatten sie nicht »dem Führer Kinder geschenkt«, anstatt eigene Bedürfnisse zu entwickeln? War es nicht an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren?
 
Birgit war völlig erfüllt von diesen Ideen. Wer weiß, ob sie die Bücher von Simone de Beauvoir überhaupt gelesen hatte, doch das war gar nicht nötig, denn deren Thesen waren schon Allgemeingut geworden in den Frauengruppen, an denen sie teilnahm. Von nun an war Birgit das Gesprächsthema Nummer eins für uns. Wir waren alle mit der, Vorstellung aufgewachsen, dass wir einen guten Schulabschluss machen sollten, vielleicht auch arbeiten, aber dann heiraten und Kinder bekommen würden. Gerade begannen wir, uns für Jungen zu interessieren, wir lasen heimlich Bravo und erfuhren, wie man flirtet und was ein »Schmetterlingskuss« ist. Aber offenbar gab es noch andere Möglichkeiten, etwas aus seinem Leben zu machen. Und die klangen höchst verlockend.
 
Durch einen Zufall traf ich Birgit vor ein paar Jahren wieder. Sie war Journalistin geworden und hatte einen Interviewtermin mit mir vereinbart. Erst als wir uns gegenüber saßen, erkannte ich sie und sprach sie darauf an. Doch, sie erinnere sich dunkel an den Geburtstag ihrer Cousine Conny, war ihre Antwort. Fast dreißig Jahre waren seitdem vergangen. Birgit war jetzt Mitte fünfzig, ihr Haar war immer noch feuerrot, doch stoppelkurz, sie trug einen grauen Nadelstreifenanzug und Herrenschuhe, von ihrer einstigen Munterkeit und von ihrem Optimismus allerdings war nicht viel übriggeblieben. Sie wirkte müde. Nachdem wir ihre vorbereiteten Fragen abgearbeitet hatten, befragte ich sie. Es interessierte mich, wie es ihr ergangen war.
 
Zunächst klang alles nach einer Erfolgsgeschichte. Sie hatte ihr Studium mit dem Staatsexamen beendet, eine Weile als Lehrerin gearbeitet, und als ihr das zu langweilig gewor¬den war, hatte sie bei einer Zeitung angefangen. Jetzt war sie als freie Journalistin tätig und hielt sich ganz gut über, Wasser, wie sie sagte, auch wenn immer mehr junge Kollegen auf den Markt drängten. »Und sonst?«, fragte ich. Mit großen Augen sah sie mich an. »Was sonst?« Ihr Ton war gereizt. »Na ja, privat. Hast du einen Mann? Eine Familie?« Sie sah mich mitleidig an. »Nee, das wollte ich doch nie. In den Eheknast hat mich keiner gekriegt.« Sie lächelte stolz.
 
Auf mein hartnäckiges Nachfragen hin veränderte sich das Bild. Feste Beziehungen hatte sie nie gehabt, nur einmal war sie für ein paar Monate zu einem Mann gezogen, hatte je¬doch schnell wieder die Flucht ergriffen. »Es wurde mir zu eng«, erklärte sie. »Schon bald nahm er Pascha-Allüren an. Ich wollte frei sein.« Und plötzlich sagte sie: »Das ist eben der Preis. Ich bin immer wählerischer geworden, und jeder Mann hat doch irgendeine Macke. Ich bin lieber einsam, als dass ich Kompromisse mache. Und wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, verreise ich. Nächste Woche fahre ich zu einem Yogakurs auf Kreta.«
 
Einsamkeit. Das war es. Birgit wirkte einsam. Und ich spürte, dass kein Yogakurs und kein noch so spannendes Berufsleben diese Verlassenheit vertreiben konnte. Bevor wir uns verabschiedeten, fragte sie mich noch nach meinem Privatleben. »Ganz konventionell«, sagte ich. »Mann und Kind, steht ja in jeder Zeitung.« Sie seufzte. »Dich hat es immer in die Ehefalle gezogen, du Ärmste.«
 
Sie erhielt keine Antwort von mir. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, welch ein Irrtum der ewige Kampf gegen die Männer sei, wie schön es sei, sich als Frau zu fühlen, und dass ich überglücklich sei, Mutter zu sein. Doch das wäre eine Provokation gewesen; vielleicht hätte es Birgit sogar traurig gemacht. Sie wirkte verloren, beinahe verstört, einen Lebensmittelpunkt schien sie nicht zu haben. Stattdessen sagte ich nur: »Ich habe das so gewollt.«
 
»Frauen wie du sind ein Schlag gegen das, was wir erreicht haben!«, brauste Birgit mit einem Mal auf. »Wir sind dafür auf die Straße gegangen, dass ihr jüngeren Frauen es besser habt. Und was macht ihr? Kinder, Küche, Kirche! Ihr verratet die Frauenbewegung!«
Unser Abschied war kühl. Leider. Aber ich wusste, dass keine Diskussion und kein Argument. Birgits Lebenssituation mehr ändern konnte. Sie hatte sich längst entschieden und es war eine Straße ohne Wiederkehr.
 
Ihre Angriffslust machte mich allerdings nachdenklich. »Ihr« und »wir« – was heißt das eigentlich? Warum tat Birgit so, als hätte sie persönlich etwas für mich getan? Warum ließ sie nicht ändere Vorstellungen zu? Und was hatte sie in die Waagschale zu werfen? Ihr eigenes Leben? Nicht eine Sekunde hätte ich mit ihr tauschen mögen. Die Bilanz ihres Daseins war eine Wirklichkeit als einsame Frau, die in der Endlosschleife aus Arbeit und Zeitvertreib steckte. Sie hatte ihr Ziel erreicht, sie hatte alles getan, was Frauen wie Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer verkündet hatten. Doch war sie damit glücklich geworden?
 
Wofür das alles? Was hatte sie sich dauerhaft aufgebaut? Selbst von einer gelungenen Karriere konnte man nicht sprechen, denn sie hatte ja erwähnt, dass mittlerweile jüngere Kollegen die Redaktionen eroberten. Was würde übrig bleiben, wenn sie nicht mehr arbeitete? Wie würde ihr Alter aussehen? Wo waren ihre Mitstreiterinnen von einst, wo war dieses »Wir« …?

 

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Teil 13: Frauen gegen Frauen
 
Das erregte Unterscheiden zwischen einem »Ihr« und einem »Wir« in der Emanzipations-Debatte ließ mich nicht los. Mittlerweile scheint mir dieses »Wir« der frauenbewegten Kämpferinnen recht anmaßend. Denn es bezieht sich letztlich auf eine kleine Gruppe, die beansprucht, für alle anderen Frauen Entscheidungen treffen und zwischen richtig und falsch zu unterscheiden zu können. Und es beschleicht mich das Gefühl, dass die Aggressivität, mit der diese kleine Gruppe den Nicht-Feministinnen oder »ganz normalen Frauen« begegnet, aus einer tiefen Lebensenttäuschung gespeist wird.
 
Das aber würden die selbst ernannten »Emanzen« niemals zugeben. Frauen wie Birgit müssen darauf beharren, alles richtig gemacht zu haben, weil sonst ihre Daseinsberechtigung in sich zusammenbrechen würde. Sie können aus diesem Grund nicht eingestehen, dass die Frauenbewegung Leitbilder geschaffen hat, die weder Frauen noch Männern ein besseres Leben verschaffte, Leitbilder, die die Ehe zerstörten, den Kinderwunsch als falsches Bewusstsein entwerteten und die Familie an den Pranger stellten.
 
Hier soll kein falsches Bild entstehen. Natürlich gibt es entscheidende Verbesserungen, die uns die so genannte Emanzipation gebracht hat. Befreiung von sexueller Gewalt, von politischer Ungleichbehandlung, von der Missachtung von Frauen, hinzu kommt die Selbstverständlichkeit des Wahlrechts und die einer besseren Ausbildung. Doch sind diese Errungenschaften nicht alle das Ergebnis militanter Feministinnen, sondern zum Teil bereits im Grundgesetz als Menschenrechte verankert. Die Vermischung dieser wichtigen Entwicklungsschritte, inklusive einer Vermännlichung der Frau, einem Konkurrenzverhalten gegenüber den Männern und der Abschaffung von Weiblichkeit und Mütterlichkeit führte uns zu den Missständen, die der Anlass zu diesem Buch waren.
 
Es gab wütende Proteste von Seiten der Feministinnen, als einige Frauen aus dem Umfeld von Bündnis 90/Die Grünen 1987 das »Müttermanifest« veröffentlichten., Vorausgegangen war ein Kongress, an dem rund 500 Mütter und 200 Kin¬der teilgenommen hatten, unterzeichnet hatten das Manifest unter anderem Antje Vollmer und Christa Nickels. Das »Müttermanifest« sprach aus, was damals noch wenige zu sagen wagten: dass die Frauenbewegung aus dem »Ghetto der Nicht-Mütter« und dem »Aquarium der Karrierefrauen« komme und dass sie letztlich kinderlose Frauen zum Vorbild erhebe. Das sei nicht nur eine beispiellose Ignoranz gegenüber den Müttern, es sei auch verhängnisvoll für die ganze Gesellschaft. »Das Wissen von Müttern, von den Werten, die sie im Zusammenleben mit ihren Kindern erleben und Iernen, fehlt überall im öffentlichen Bewusstsein«, hieß es weiter in dem Manifest. »Die Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt, das Erleben des Heranwachsens und Heranreifens junger Menschen unter unserer Obhut gibt Müttern die Chance, den inneren Zusammenhang zwischen Mensch und Natur täglich neu zu spüren.«
 
Man kann sich vorstellen, was Birgit zu diesem Manifest gesagt hätte, um zu ermessen, wie heftig die Reaktionen der emanzipierten Schwestern waren. Die wetterten denn auch prompt, hier gehe es um die. Reaktivierung eines altmodischen Frauenbildes. Dabei trafen viele Äußerungen des Manifests sie sicherlich mitten ins Herz. Denn es wurde auch die Aufwertung der »bunten und lebensfrohen Welt« von Müttern und ihren Kindern gefordert und eine Abwertung der Erwerbsarbeit. Bunt und lebensfroh? Ohne Berufstätigkeit? Das ist sicherlich das Letzte, was Feministinnen mit der Mutterschaft verbinden, in der sie, dank Simone de Beauvoir, die Versklavung der Frau wittern.
 
So hat denn auch das »Müttermanifest« politisch wenig bewirkt, viel zu wenig. Quer durch die Parteien waren längst Frauen und Männer an der Macht, die das gesamte Repertoire der Frauenbewegung verinnerlicht hatten. Was nützte es da, dass im Manifest beklagt wurde, eine kinderlose Gesellschaft sei dazu verurteilt, »anonym« und »institutionalisiert« zu werden? Selbst als der Verfassungsrechtler Paul Kirchhof in einem Spiegel-Interview vom August, 2005 sagte, dass »Mütter und nicht Manager und nicht Minister« die Welt humaner machen könnten, verhallte diese Mahnung.
 
Und noch etwas musste die Feministinnen am »Mütter- Manifest« stören: der Hinweis auf den Zusammenhang von Mensch und Natur. Genau das war seit Anbeginn der Frauenbewegung abgelehnt worden. Im Windschatten des Feminismus hatte sich Anfang der siebziger Jahre an den amerikanischen Universitäten ein neuer Forschungszweig etabliert, die Gender Studies. Ihre Ausgangsposition war wiederum eine Variation des sattsam bekannten Satzes von Simone de Beauvoir, dass man nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht werde. Im Sprachgebrauch der Gender Studies hörte sich das jetzt so an: Es gebe zwar biologisch gesehen männlich und weiblich, doch das Geschlecht mit allen seinen Neigungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen sei ausschließlich kulturell erlernt, es sei ein »soziales Geschlecht«. Unter diesem Aspekt wurde nicht nur der gesamte Wissenschaftsbetrieb als männerfixiert abgelehnt, fortan galt die Natur mehr als Schimpfworf denn als Grundlage des Seins.
 
Wie gesagt: Alle diese Theorien wurden von wenigen Frauen entwickelt, die sich mehr oder weniger in einer Nische der Gesellschaft aufhielten, von dieser aus aber alle Frauen beeinflussen wollten. Teilweise ist ihnen das auch gelungen. Dafür könnte die Tatsache sprechen, dass Akademikerinnen weniger Kinder bekommen als andere Frauen: Dazu gehört auch die Beobachtung, dass die Berufsfeministinnen gemessen an ihrer geringen Zahl immensen politischen Einfluss hatten. Sie handelten nach der Strategie: Erst, fordern wir Frauenbeauftragte, dann machen wir den Job. Dies war ein geschlossenes System: Heute gibt es auch an deutschen Universitäten eine große Anzahl von Forschungsstellen und Studienschwerpunkte zum Thema »Gender Studies«. Was geben sie uns? Welche Erkenntnisse werden gewonnen, die den Frauen wirklich zugutekommen? Das sind Tabufragen.
 
»Ich glaube, die Frauenbewegung als solche existiert überhaupt nicht«, hatte Katharina Rutschky in jenem anfangs zitierten Interview gesagt. »Es gibt nur den Staatsfeminismus auf der einen Seite, also Gleichstellungsbeauftragte, Frauenministerien und Frauenquoten. Und auf der anderen Seite gibt es die autonome Frauenszene.« Mit anderen Worten: Es habe nie eine Frauenbewegung gegeben, die diesen Namen verdiene, sondern nur einige wenige Frauen,, die es schafften, sich clever in Szene zu setzen, mit Büchern, Zeitschriften und Talkshow-Auftritten, mit politischen Ämtern und Posten – und die von dieser Sonderstellung kräftig profitiertem Aber daneben gibt es die namenlosen Opfer wie Birgit, die nahezu gläubig und mit besten Absichten diesen Damen folgten, ohne zu bedenken, dass sie laut und fröhlich auf einen Abgrund zuliefen.
 
Und schlimmer noch: Mehr und mehr Frauen sind anzutreffen, die zwar nicht der autonomen Frauenszene angehören, für die der Feminismus aber gesellschaftsfähig geworden ist, ohne dass sie sich als Feministinnen bezeichnen würden. Sie sind die Enkelinnen Simone de Beauvoirs, sie praktizieren einen »Feminismus light«. Tief verinnerlicht haben sie die Kriegserklärungen an die traditionelle Frauenrolle, sind getragen von einem grundsätzlichen Misstrauen gegen die Männer, glauben, sich einzig durch Berufstätigkeit einen Selbstwert geben zu können, und ertragen den Gedanken an Mutterschaft nur, wenn sie sicher sein können, neben dem Kind auch eine Arbeit zu haben. Empfindung und Gespür für die menschlichen Prioritäten sind ihnen abhandengekommen.
 
Bringen wir es auf den Punkt: Diesen Frauen hat der Feminismus sehr viel genommen, gegeben aber hat er ihnen nur die Nachahmung der männlichen Rolle. Und wie sieht der Alltag dieser Frauen aus? Sie leben in einer gefährlichen Schizophrenie: Im Beruf müssen sie forsch und fordernd sein, dem Kind gegenüber sollen sie weibliche Muster reaktivieren, und was das Verhältnis zum Mann betrifft, finden sie sich zwischen allen Stühlen wieder. Nichts passt mehr zusammen: Sie erziehen Männer und Söhne zu »Sitzpinklern«, mögen aber andererseits keine Softies. Sie fordern von Männern Hausarbeit, wollen aber trotzdem einen Strauß Rosen zum Hochzeitstag. Sie wissen, dass das Weibliche sie begeh¬renswert macht, dürfen das aber nicht vorbehaltlos ausleben, weil sie sich sonst zum Püppchen herabgewürdigt fühlen. Fast scheint es so, als sei es nie so schwierig gewesen wie heute, eine Frau zu sein.
 
Die Konflikte sind vorprogrammiert, seit Alice Schwarzer in ihrem Buch Der »kleine Unterschied« und seine großen Folgen die These von der immer und überall unterdrückten und unfreien Frau präsentierte. Sie behauptete, dass Frauen grundsätzlich eine Lebensproblematik; hätten. Es sei ein »Stigma«, von der Gesellschaft zur Frau gemacht zu werden; also müsse man sich aller Verhaltensweisen und Eigenschaften entledigen, die eine Frau zur Frau macht.
 
Niemand störte sich daran, dass Schwarzer, für ihr Buch siebzehn Frauen aus ihrem Umfeld interviewt hatte. Siebzehn Frauen, war das repräsentativ? Und wenn diese aus Schwarzers Bekanntenkreis stammten, standen sie dann wirklich stellvertretend für die Mehrheit der Frauen? Selbstverständlich wirkte Der »kleine Unterschied« und seine gro: ßen Folgen erst einmal authentisch: Lebendige Einzelschicksale, dagegen ist wenig zu sagen. Doch die Authentizität wirkt aus heutiger Sicht inszeniert, und die Schlüsse, die Schwarzer aus den Gesprächen zieht, zeigen, dass die Interviews nicht ohne Kalkül geführt wurden. Vielmehr waren sie Beweise für das, was sie eigentlich sagen wollte.
 
Im zweiten Teil des Buches stellte Schwarzer die weitere These auf, dass nicht allein die Herrschaft der Männer, sondern auch die Sexualität ein Instrument der Unterdrückung sei. In diesem Zusammenhang verwendete Alice Schwarzer das Wort »Zwangsheterosexualität«. Allen Ernstes versuchte sie zu behaupten, Liebe und Sexualität zwischen Mann und Frau seien nichts weiter als ein kulturell erlernter Zwang. Nur so lasse sich die Männerfixierung und die bereitwillige Unterwerfung der Frau unter den Mann erklären. Und im dritten Teil wurden Berufstätigkeit und Emanzipation nahtlos miteinander verschweißt. Damit hatte sie getreulich die wichtigsten Gedanken von Simone de Beauvoir übernommen und sie mit dem Kolorit ihrer eigenen Erfahrungen lebensecht eingefärbt.
 
Es gibt durchaus Verdienste, die dem Feminismus unmittelbar zugeschrieben werden können. Dazu gehört die Einrichtung von Frauenhäusern, in die sich misshandelte Ehefrauen mit ihren Kindern flüchten können. Dazu gehört auch die Aufklärung über sexuellen Missbrauch von Mädchen, die sich bei Initiativen wie »Wildwasser e.V.« beraten lassen kön¬nen. Und ganz bestimmt ist es anerkennenswert, gegen die Klitorisbeschneidung von jungen Frauen in Afrika zu protestieren, eine grausame Verstümmelung, die körperliche und seelische Verletzungen unvorstellbarer Art nach sich ziehen.
 
Doch alle diese Aktivitäten beziehen sich auf eklatante Missstände. Die zulässige Grenze feministischen Denkens wurde dort überschritten, wo die Normalität als krimineller Zustand behandelt wurde, wo Paarbeziehungen von vornherein als Formen der Unterdrückung betrachtet wurden und Kinder als Fußangel, in der Frauen hängen bleiben. Frausein ist eine Last, eine Knechtschaft, Frauen sind Verlierer, das war die Botschaft. Also sollte man sich vorbehaltlos am Mann orientieren. Ist das die gerühmte Befreiung? Den in Grund und Boden kritisierten Mann zu imitieren? Das Weibliche in sich zu verdrängen und das Männliche herauszukehren? Mit welchem Recht und mit welchen Argumenten eigentlich wurde den Frauen ihre Weiblichkeit ausgeredet?
 
Nicht nur Kritikern, auch ein paar aufgeweckten Feministinnen selber fiel auf, dass sowohl die Gender Studies als auch die Thesen der Frauenbewegung einen logischen Schönheitsfehler hatten. Einerseits beharrte der »Gleichheitsfeminismus« darauf, Frauen seien wie Männer oder sollten sich an Männern orientieren, andererseits wurde eine »Frauenkultur« gepriesen, die darauf hinauslief, dass Frauen anders denken, anders empfinden, anders handeln und im Grunde die besseren Menschen seien. So titelte der Stern 2006: »Frauen – die besseren Chefs. Was Männer von ihnen lernen können.« Geschrieben war der Artikel von einer Frau.
 
Was will der Feminismus wirklich? Sollen Frauen nun männlicher werden oder, sollen sie sich auf ihre weiblichen Stärken besinnen? Auf der einen Seite wurde propagiert, Frauen sollten »Frauennetzwerke« gründen, sich mit weiblicher Intelligenz gegen die Männerwelt verbünden, auf der anderen Seite legte der Feminismus nahe, wie Männer zu handeln.
 
Eine Lektion haben viele Frauen jedenfalls prompt umgesetzt: Sie haben von den Männern gelernt, wie man angriffslustig mit seiner Umwelt umgeht, wie man kämpft, wie man Ansprüche anmeldet. Alle: traditionellen Umgangsweisen waren nun; als Ausdruck von Machtverhältnissen definiert, nichts durfte mehr so sein wie zuvor. Ein bisschen wirkte das wie der Protest von Pubertierenden, die gegen die Eltern rebellieren.-Statt zu prüfen und abzuwägen, welche Dinge denn möglicherweise; erhaltenswert sind, wurde in Bausch und Bogen alles abgewertet, was konventionell wirkte. Das erinnert auch an die Trotzreaktion Simone de Beauvoirs, die aus der Erfahrung des Abgelehntwerdens die Welt ihrer Eltern fortan bekämpfte.
 
Vollends problematisch wird die Sache, wenn man erfährt, dass Simone de Beauvoir 1971 in Frankreich die öffentliche Erklärung »J’ai avorte« (»Ich habe abgetrieben«) unterschrieb, eine Aktion, die Alice Schwarzer begeistert beklatschte und im selben Jahr in Deutschland kopierte, mit dem schon erwähnten Stern-Titel: »Wir haben abgetrieben!« Man kann die fatale Bedeutung des Kampfes für die Legalisierung der Abtreibung gar nicht hoch genug einschätzen, wenn man sich mit dem Feminismus beschäftigt. Denn es ging dabei ja nicht nur um die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs, es ging auch darum, ihn als harmlos herunterzuspielen, als sei das nur wie ein Zahnarztbesuch.
 
Warum gingen die Feministinnen nicht für kostenlose Kondome auf die Straße, wenn sie denn schon kinderlos bleiben wollten? Warum demonstrierten sie nicht für mehr Aufklärung über Schwangerschaftsverhütung? Gerade die Proteste gegen den Paragraphen 218 enthüllen ein zutiefst bedrohliches Moment der Frauenbewegung. Es war nicht nur der überaus feindselige und ablehnende Umgang mit1 einem ungeborenen Kind, es war auch die wenig einfühlsame Auseinandersetzung mit uns Frauen. Ist das ungeborene Leben nicht ein Teil von uns? Wird bei einer Abtreibung nicht ein Stück von uns zerstört?
 
Die Diskussion um den Paragraphen 218 schien beendet, als die Abtreibung prinzipiell straffrei zugelassen wurde! Doch so ist es nicht. Heute weiß man aus der »Post-Abortion«-Forschung, die sich mit den Folgen von Abtreibungen beschäftigt, dass ein Schwangerschaftsabbruch in den Biografien der meisten Frauen eine seelische Schädigung hinterlässt: Oft trauern Frauen ein Leben lang um das verlorene Kind, und es ist belegt, dass die meisten Beziehungen danach scheitern.
 
4. Februar 2019


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Teil 14: Schwangerschaftsabbruch –

Oft ein lebenslanger Albtraum

 
Heute werden in Deutschland täglich über 1000 Abtreibungen vorgenommen. Wenige Frauen ahnen, worauf sie sich einlassen, wenn sie das Risiko einer Schwangerschaft mit dem Bewusstsein eingehen, dass man »es« ja »wegmachen« lassen kann. Sie lassen sich blenden von Begriffen wie Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit, die der Feminismus ihnen bescherte.
 
Heute ist nicht die Abtreibung ein Politikum, sondern die Erforschung der Folgen. Nur wenige Studien beschäftigen sich mit dem »Post-Abortion-Syndrom«, weil das einfach nicht zum Zeitgeist passt, wie Ingolf Schmid-Tannwald betont, Professor für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und langjähriger Leiter der Familienplanungsstelle an der Frauenklinik der Universität München im Klinikum Großhadern. Studien dieser Art seien gesellschaftlich nicht erwünscht, weil die Abtreibung heute als »unbedenkliches Mittel der Geburtenkotrolle gewertet wird«.
 
Ganz gleich ob man sich weltanschaulich für oder gegen Abtreibung ausspricht, die Konsequenzen für die Frauen sind weitreichend. Schmid-Tannwald nennt schwere Störungen der körperlichen und seelischen Funktionen nach Schwangerschaftsabbrüchen, Störungen, wie sie auch nach körperlicher Gewalteinwirkung und Vergewaltigung beobachtet werden. Neben den medizinischen Risiken wie Infektionen und Verletzungen der Gebärmutter treten später oft eine Fülle von Beschwerden auf, Verwachsungen im Unterleib, Probleme bei späteren Schwangerschaften, Fehlgeburten, sexuelle Störungen, Depressionen, Angstzustände, Medikamenten- und Drogenmissbrauch bis hin zur Gewalt gegen sich selbst. In seiner Praxis hat Schmid-Tannwald Frauen erlebt, die vom Aussehen des abgetriebenen Kindes träumen, die rituell den »Geburtstag begehen«.
 
Übrigens sind auch Männer betroffen, wenn es um Abtreibungsfolgen geht. Arthur Shostak, Professor für Soziologie an der Drexel University in Philadelphia, veröffentlichte bereits 1984 eine Studie dazu. Er hatte 1000 Männer befragt, deren Frauen oder Freundinnen abgetrieben hatten. Sein Ergebnis: 80 Prozent der Männer dachten manchmal an das ungeborene Kind, 29 Prozent träumten regelmäßig davon, 68 Prozent sagten, dass sie eine schwere Zeit durchgemacht hätten. Viele begannen während der Befragung zu weinen.
 
Niemand bestreitet, dass es Notlagen gibt, in denen Frauen als letzten Ausweg nur den Schwangerschaftsabbruch sehen. Vergleichen wir es mit dem Recht auf Notwehr. Doch genauso wenig wie Notwehr prinzipiell Mord rechtfertigt, kann Abtreibung als Verhütungsmethode verniedlicht werden. Die Verharmlosung des Eingriffs gehört zu den ideologischen Nebenwirkungen des Feminismus. Dass die Aufklärung über die Probleme nach der Abtreibung schon als »konservativ« gilt, als tendenziöse Äußerung, muss jeden nachdenklich stimmen, dem am Wohl der Frauen gelegen ist. Die Frauenbewegung, die den Schwangerschaftsabbruch als Freiheitsbeweis feierte, lässt kaum Abweichungen zu. Alles Abwägen stellt Kritiker dieses Denkansatzes in eine rechte Ecke, Diskussionen sind nicht erwünscht.
 
Ist es das, was die Frauenbewegung wollte? Dass sie Themen besetzt und nicht mehr hergibt? Dass sie ein Redeverbot über Dinge erteilt, die nicht ins feministische Konzept passen? Es sieht ganz danach aus. Aufschlussreich ist es, wie ich es auch schon beim Thema Kinderbetreuung getan habe, einen Blick zurück in die DDR zu werfen. Dort gehörte die Abtreibung zur Normalität, sie wurde ohne große Formalitäten gewährt und auch vom Staat bezahlt. Alles kein Problem also?
 
Vor einiger Zeit fiel mir ein Gedicht mit dem Titel »Interruptio« der Schriftstellerin Eva Strittmatter in die Hand, die einen großen Teil ihres Lebens unter dem DDR-Regime lebte. Darin heißt es: »Ich muss meine Trauer begraben / Um das ungeborene Kind. / Das werde ich niemals haben. / Dämonen pfeifen im Wind … Es hat mich angerufen, / Es hat mich angefleht, / Ich soll es kommen lassen, / Ich habe mich weggedreht.« Gegen Ende des Gedichts schreibt sie: »Das schwere Recht der Freiheit / Hab ich für mich missbraucht. / Und hab mich neu gefesselt. / In Tiefen bin ich getaucht.«
 
Das ist keine Politik. Das ist auch keine Polemik. Es ist die Klage einer Frau^ die überzeugt war, das Richtige zu tun, weil ihr Umfeld es ihr so signalisierte. Und die nun bereut, dass sie abgetrieben hat und dieses Kind nicht lebt. In dem Gedicht kommt eine Passage vor, die belegt, was die Autorin dazu trieb, die Mutterschaft so vehement abzulehnen. Darin bekennt sie, dass sie ihre Arbeit für wichtiger gehalten hat und nun begreift, dass das ein Irrtum gewesen sein könnte: »Und wahnwitzverirrt / Hab ich mich darauf berufen,/ Ich sei zum Schreiben bestellt. / Dabei war vielleicht diese Hoffnung / Viel wichtiger für die Welt.«
 
Nicht immer kommt es zum Extremfall einer Abtreibung, dennoch ist das Gedicht symptomatisch für die Skepsis gegenüber der Mutterschaft. Die Wertschätzung, die die Arbeit vor der Familie genießt, der Vorrang, der einer Berufstätigkeit gegenüber Kindern gegeben wird, ist zum Kennzeichen unserer Kultur geworden. »Das schwere Recht der Freiheit« – uns Frauen wird es aufgebürdet mit dem Hinweis, dass alles befriedigender sei, als nur Ehefrau und Mutter zu sein.
 
5. Februar 2019


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Teil 15: Fataler Männerhass
 
Und wie sieht diese Freiheit dann aus? Es ist kein Geheimnis, dass wir längst auf dem Weg in eine Singlekultur sind. Sehen wir uns die Zahlen an: Das Statistische Bundesamt veröffentlichte 2006 eine Statistik, der zufolge jeder fünfte Einwohner Deutschlands allein lebt, insgesamt sind es 8,7 Millionen Frauen und 7,1 Millionen Männer. 46 Prozent der Frauen sind verwitwet, was bedeutet, dass 54 Prozent, also mehr als die Hälfte der allein lebenden Frauen, ledig oder, geschieden ist oder in Beziehungen ohne gemeinsame Wohnung lebt. Ob sie gern allein leben? Ob sie etwas vermissen?
 
Ausgehen kann man davon, dass die Fähigkeit zu engen Bindungen allmählich abhandenkommt, obwohl die Sehnsucht danach unvermindert groß ist. Das Singleleben ist nicht so lustig und aufregend, wie uns manche Bücher oder Zeitschriften weismachen wollen. Millionen sind auf der Suche, sonst gäbe es nicht den Boom der Singlebörsen und Internet-Partnervermittlungen.
 
Die Online-Partneragentur »Parship« veröffentlichte vor kurzem eine Studie, für die sie mit einem Düsseldorfer Marktforschungsinstitut 1000: Singles interviewt hatte. In der Untersuchung ging es um die Frage der Kompromissbereitschaft. Das Ergebnis: Bei nahezu allen Partnerschaftsbelangen zeigten sich die Männer kompromissbereiter als die Frauen. Nur 36 Prozent der Frauen waren bereit, eine Verbindung mit einem Mann einzugehen, der noch nie eine feste Beziehung hatte, während 63 Prozent der Männer im umgekehrten Fall keine Probleme damit hatten. Deutlich weniger Frauen als Männer wollten übrigens den Kinderwunsch des Partners akzeptieren oder dem Partner mehr Raum geben als dem Freundeskreis.
 
Daraus könnte man schließen, dass Frauen weit wählerischer sind, was ja begrüßenswert wäre. Doch viel näher liegt ein anderer Schluss: dass sie erheblich skeptischer geworden sind und genaue, möglicherweise auch unrealistische Vorstellungen von einer Beziehung und den dazugehörenden Männern haben. Das Kölner Marktforschungsinstitut »Rheingold« schreibt denn auch den Frauen eine »enorme Erwartungshaltung« zu.
 
Keine Kompromisse! Oder so wenige wie möglich! Spontan fühlte ich mich an Birgit erinnert, als ich das las, an ihren Ausspruch, sie bleibe lieber einsam, als Zugeständnisse zu machen. Da muss man sich nicht wundern, wenn, diese Frauen vielleicht ein Leben lang vergeblich auf den Traumpartner warten, den sie sich in Gedanken zusammengebastelt haben.
 
Die wahrhaft unheilvolle Konsequenz des Feminismus ist die Frontstellung, in die sich viele Frauen oft unbewusst begeben haben. Der Mann erscheint als Feind, der erst einmal beweisen muss, ob er nicht doch zum Freund werden könnte. Überall scheint Unterdrückung zu lauern, Unterwerfung, Sklaverei. Jeder, der in einer festen Beziehung lebt, weiß, dass ohne Verhandlungsbereitschaft und Kompromissbereitschaft keine langjährige Bindung zu haben ist. Wer immer nur aufrechnet; wer darauf wartet, welches Unrecht sich als Nächstes ereignen könnte, ist von Misstrauen gesteuert. Keine gute Basis.
 
Die Journalistinnen Angela und Juliana von Gatterburg wenden sich deshalb in ihrem Buch Liebe, Drama, Wahnsinn gegen den permanenten Verdacht, den Frauen den Männern entgegenbringen. Frauen seien heute »inständiger Empörungsbereitschaft«, was die Fehler der Männer betrifft. Die Mutmaßungen über die grundsätzliche Schlechtigkeit der Männer sei irgendwann »ins bornierte Vorurteil« und in »erstaunliche Intoleranz« umgekippt.
 
Natürlich würden Feministinnen in Talkshow-Auftritten heute jede Männerfeindlichkeit weit von sich weisen. Ob das wirklich der Wahrheit entspricht? Als 1994 die Amerikanerin Lorena Bobbit ihrem schlafenden Ehemann den Penis mit einem Küchenmesser abtrennte, als Rache für seine Untreue, jubelte Alice Schwarzer in ihrem Emma-Artikel »Beyond Bitch« (2/1994): »Sie hat ihren Mann entwaffnet.« Und folgerte daraus, dass von nun an Frauen das Recht zur Gewalttätigkeit hätten: »Eine hat es getan. Der Damm ist gebrochen, Gewalt ist für Frauen kein Tabu mehr. Es kann zurückgeschlagen werden. Oder gestochen Amerikanische Hausfrauen denken beim Anblick eines Küchenmessers nicht mehr nur ans Petersiliehacken.« Dies zu kommentieren, in neutraler Haltung, gelingt mir nicht.
 
Schwarzers Resümee: »Es bleibt den Opfern gar nichts anderes übrig, als selbst zu handeln. Und da muss ja Frauenfreude aufkommen, wenn eine zurückschlägt. Endlich! »Frauenfreude« – was für ein Wort. Und ganz nebenbei wird den Männern jedes Recht auf eine zivilrechtliche Justiz abgesprochen. Selbstjustiz ist das Gebot der Stunde, das Feuer wird eröffnet.
 
Dies war keine Entgleisung. Denn Schwarzer hatte sich auch vorher schon für Autorinnen wie die Amerikanerin Andrea Dworkin stark gemacht, die dem Feminismus zwar durchaus kritisch gegenüberstand, aber einen ungebremsten Männerhass predigte. In ihrem Buch Pornographie. Männer beherrschen Frauen hatte sie festgestellt: »Terror strahlt vom Mann aus, Terror erleuchtet sein Wesen, Terror ist sein Lebenszweck.« Bei der von Schwarzer nachdrücklich empfohlenen Autorin findet sich auch der Satz: »Ich möchte einen Mann zu einer blutigen Masse geprügelt sehen, mit einem hochhackigen Schuh in seinen Mund gerammt wie ein Apfel in das Maul eines Schweins.«
 
Die verdeckte oder offene Männerfeindlichkeit ist kein extremistisches Randphänomen, sondern hat sich längst ins Bewusstsein vieler Frauen geschlichen. Und auch die Männer bleiben davon nicht unberührt. Die Autoren Paul Nathansori und Katherine K. Young warnten in ihrer Untersuchung über Männerhass (Spreading Misandry: Teaching Contempt for Men in Populär Culture) davor, dass Männer die negativen Klischees, die ihnen zugesprochen werden, sie seien emotionskalt und gewalttätig, am Ende tatsächlich übernehmen könnten. Frei nach dem Motto: »Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.«
 
Immer wieder begegnet uns der Typ Frau, für die das Kritisieren, wenn nicht Verächtlichmachen von Männern eine Art Sport oder gar Lebensinhalt geworden ist. Ganz gleich ob sie als kämpferische Emanze, als gesittet erscheinende Nadelstreifen-Managerin oder als Veteranin und harmlos-lustige Talkshow-Oma des deutschen Feminismus auftritt, die in Wirklichkeit den gezückten Dolch unter der schwarzen Kutte trägt, stets ist es erschreckend, wie weit verbreitet und konsequent rücksichtslos dieses Verhalten ist. Frust verbirgt sich dahinter, manchmal auch eine reale schlechte Erfahrung. Eine Rechtfertigung für verbale Angriffe ist das alles jedoch nicht.
Die größte Gefahr liegt darin, dieses Verhalten in einen Topf mit der »gesunden« Emanzipation zu werfen. Mir scheint, es dringend notwendig, die gewalttätigen Wurzeln dieser Haltung zu erkennen, um sie überdenken zu können.
 
Wir sollten uns nicht damit abfinden, im Kriegszustand zu leben. Misstrauen, Geringschätzung und Hass sind eine Quelle des Unfriedens und versperren nur zu oft den Weg zur Versöhnung. Mit Weiblichkeit haben sie auf jeden Fall gar nichts zu tun.
Verabschieden wir uns von solchem Frontverhalten. Legen wir die Waffen nieder. Wir alle sind fehlbar, Männer wie Frauen. Geben wir uns die Chance, zu lernen, zu reden, zu verhandeln. Die perfekte Beziehung gibt es nicht, genauso wenig wie den perfekten Mann. Aber welche Frau würde sich schon anmaßen, sich selbst als fehlerlos zu bezeichnen?
 
Es ist höchste Zeit, dass wir das Gift kriegerischer Gedanken aus unseren Köpfen und Herzen verbannen. Sonst werden wir niemals wahre Frauen und Mütter, und die Männer haben genauso wenig wie wir die Möglichkeit, an einer Beziehung und am Vatersein zu wachsen.
 
Die wahren Frauen haben viele Jahre lang geschlafen und das Feld den schwarzen Streiterinnen überlassen. Doch nun bricht ihre Zeit an, die Zeit der Weiblichkeit.


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Teil 16: Das Unbehagen der Frauenversteher
 
An dem bereits erwähnten Abend, an dem ich mit anderen Fernsehgästen über Männer und Frauen diskutierte, nahm mich zu vorgerückter Stunde ein junger Schauspieler zur Seite, ein typischer Vertreter der Turnschuhgeneration, Mitte dreißig, lässig, attraktiv. »Ich muss unbedingt mit Ihnen über die Männerrolle sprechen«, sagte er. »Seit zwei Stunden höre ich nun Ihrer Diskussion zu, und das alles wühlt mich ungeheuer auf. Ich habe das Gefühl, dass ich nach langen Jahren der Verzweiflung endlich der Lösung meines Lebensproblems näherkomme.«
 
Ich war völlig überrascht. Dieser Mann hatte Lebensprobleme? Er, der so entspannt auftrat und mit seiner lockeren Art zur Kultfigur geworden war? In eindringlichen Worten schilderte er, dass er als Kind bei seiner Großmutter aufgewachsen war. Die Mutter arbeitete, seinen Vater hatte er nie kennen gelernt. Er war, wie er berichtete, ein zufriedenes und höfliches Kind gewesen, das gut mit seinem von Frauen geprägten Umfeld auskam. Da über den Vater, nie gesprochen wurde, habe er ihn auch nicht wirklich vermisst.
Erst mit Beginn der Pubertät beschäftigte ihn die Frage nach seinen Wurzeln immer eindringlicher. Doch obwohl er auf Auskünfte drängte, erhielt er keine Antwort. Der Vater? Ein weißer Fleck auf der Familienlandkarte. Als hätte es ihn nie gegeben. Und so wurde der Junge immer mehr in den weiblichen Kokon eingesponnen, völlig integriert in die Welt der Frauen.
 
Das blieb nicht ohne Folgen. In der Schule und während des Studiums stand er im Ruf eines Frauenverstehers. »Weil ich ein Softie bin und die Frauen wirklich gut begreife«, erklärte er. Dann aber merkte er traurig an, er habe öfter als die anderen jungen Männer von seinen Geschlechtsgenossen »eins aufs Maul« bekommen, einfach nur, so, wahrscheinlich, weil sie ihn als Ihresgleichen nicht anerkannten. Und überhaupt sei er nachdenklich geworden, was seine abgeschwächte Männlichkeit betreffe. »Mittlerweile gefalle ich mir nicht mehr in der Rolle des Softies«, bekannte der Schauspieler. Seine Worte klangen ernst, er war sichtlich bewegt.
 
»Zunehmend. habe ich nämlich das Gefühl, dass ich den Mann in mir unterdrücken muss, um es meiner Freundin recht zu machen.«
Ich fragte genauer nach und er erzählte, dass er nicht mehr wie früher als alleinlebender Student mit seinen Kumpels samstags ins Fußballstadion gehe, obwohl er das wirklich liebend gerne täte. Vielmehr spaziere er, um der Bezie¬hung willen, mit seiner Freundin von einer Parfümerie in die andere, um neue Düfte auszuprobieren und aktuelle Lippenstiftfarben zu begutachten. »Könnte es sein«, fragte er aufgeregt, »dass der-Einfluss meiner Großmutter und meiner Mutter heute noch so groß ist, dass ich mich selbst als erwachsener Mann nicht von diesen Mustern lösen kann? Dass ich, ob ich will oder nicht, auf Frauen höre und deren Wünsche erfülle, auch wenn meine eigenen auf der Strecke bleiben? Oder habe ich es versäumt, das zu erkennen und rechtzeitig die Notbremse zu ziehen?«
 
Ja, das mit dem weiblichen Einfluss könnte zutreffen, bestätigten einige Tage später zwei Psychologen unabhängig voneinander, die ich um ihre Meinung gebeten hatte, als ich ihnen von dieser Biographie berichtete. Es gebe viele Hinweise darauf, dass die Feminisierung in der Erziehung viele Jungen und jugendliche Männer in eine schwere Leistungs- und Identitätskrise geführt hätten.

Ein Freund fiel mir ein, Kai, Lehrer für Deutsch und Geschichte, ein ausgesprochen amüsanter Mann, voller Charme und immer bereit, eine ganze Partyrunde mit seinen Geschichten zu unterhalten. Ein echter »Frauentyp«. An Gelegenheiten mangelt es ihm nicht. Doch die längste Beziehung, die er als Mittvierziger hinbekommen hat, dauerte elf Monate. Warum nur? Er selbst ging der Sache auf den Grund. In einer schwachen Stunde verriet er mir, dass er sexuell regelmäßig versage, hinzu komme seine Angst vor Bindung. Und die Ursache liege, das werde ihm allmählich klar, in seiner Kindheit.
 
Sein Vater sei gebrochen aus dem Krieg zurückgekehrt, die Mutter war dominant gewesen und habe ihren Sohn abgöttisch geliebt, ihn gleichzeitig aber so fest an sich gebunden, dass er kaum Luft bekam – und nun hatte er auch in Beziehungen zu Frauen sehr rasch das Gefühl zu ersticken. Zur Übermutterung kam die unbedingte Autorität: Er hatte seiner Mutter regelrecht zu Füßen liegen müssen. Die Folge: Heute könne er aus diesem Grund Frauen weder »erobern« noch ihnen die »starke Schulter« bieten.
So weit ist es also gekommen, dachte ich. Frauen dürfen schon lange keine Frauen mehr sein, wenn man den Thesen des Feminismus folgt, und nun dürfen auch die Männer keine Männer mehr sein! Wollen wir das wirklich? Vermännlichte Frauen und verweiblichte Männer? Wem nützt das eigentlich? War das der Sieg, den die Feministinnen im Sinn hatten? Starke Frauen und schwache Männer?
 
Zumindest in der Generation der heute unter Zwanzigjähri¬gen zeichnet sich ab, dass Männer die großen Verlierer sind und weiter sein werden, gesellschaftlich und auch beruflich: Und das nicht etwa, weil sie sich um des Beziehungsfriedens willen nicht mehr auf den Fußballplatz trauen. Sondern weil sie in einem nachhaltig feminisierten Klima aufwachsen, das jede legitime männliche Wesensart unterdrückt.
 
Die männlichen Jugendlichen von heute erfahren ver¬mehrt eine männerfreie Welt. Viele leben mit ihrer alleiner¬ziehenden Mutter zusammen, in einem Familientorso also, wo der Vater fehlt oder nur sporadisch anwesend ist und kaum Einfluss nimmt. Die »vaterlose Gesellschaft«, einst als Etikett der Nachkriegsgeneration erfunden, ist längst zum Schlagwort auch für unsere Gegenwart geworden. Das führt dazu, dass Jungen den fehlenden Vater kompensieren und sich häufig mit überzeichneten maskulinen Fantasiefiguren wie dem Terminator (alias Arnold Schwarzenegger) identifi¬zieren. Sie träumen von Männlichkeit und Stärke, erleben aber nicht wirklichkeitsgetreu, wie diese Prinzipien aufs menschliche Maß reduziert und relativiert werden können. Das führt zu einer Fehleinschätzung der eigenen Stärken und Fähigkeiten und schließlich dazu, dass die Jungen in der Schule keine angemessenen Leistungen mehr erbringen, weil sie in einer Traumwelt versunken sind, statt konzentriert am Unterricht teilzunehmen.
 
Nicht nur das familiäre Milieu, das gesamte pädagogische Betreuungs- und Ausbildungssystem unseres Landes ist vom Kindergarten bis zum Gymnasium überwiegend von weiblicher Erziehung geprägt. Und so werden Jungen vor allem nach den Maßstäben von Frauen gemessen; jede altersge¬rechte und für Jungen normale Art der vermeintlichen Ag¬gression, jeder. Kampf um die Hackordnung in der Klasse, jede Rebellion wird als »verhaltensauffällig« eingestuft und verboten. Daher lernen die Jungen nicht, Konflikte und durchaus gesunde Rangordnungskämpfe auszutragen und auszuhalten, sich zu versöhnen und ihre Aggression auf diese Weise zu steuern und zu kontrollieren.
 
Jungen erscheinen Lehrerinnen als wesentlich anstren¬gender. Sie sind eben nicht so pflegeleicht wie Mädchen, sie sind weniger angepasst, nicht so kommunikativ und »nett«, und wenn sie dann noch verschlossen oder störrisch auftreten, erkennen die Erzieherinnen häufig nicht das Muster, das sich dahinter verbirgt: die Erprobung der Männlichkeit. Schon vor vielen Jahrzehnten hat der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich darauf aufmerksam gemacht, dass Väter eine andere Rolle bei der Erziehung spielen als Mütter – und dass Kinder beides brauchen. Der Mann vermittelt stär¬ker Realitätseinsichten, schleift allzu viel Egozentrik ab, er be¬reitet den-Jungen stärker als die Mutter auf die rauen Gesetze der »Welt da draußen« vor, die nur durch Zügelung des Egos und durch funktionierende innere Kontrollinstanzen erobert werden kann.
 
Für die Schule gilt das Gleiche wie für das häusliche Um¬feld: Für die Persönlichkeitsbildung ist es unerlässlich, Lehrer und Lehrerin, Männliches und Weibliches zu erfahren. Doch stattdessen kann es passieren, dass ein Abiturient in seiner Kindergarten- und Schulzeit bis zu seinem neunzehnten Lebensjahr unter Umständen nicht einen einzigen Mann erlebt.
 
Wenn dieser Junge es denn überhaupt bis zum Abitur schafft. Längst ist der männliche Nachwuchs nämlich schu¬lisch auf der Verliererstraße. Vorbei die Zeiten, als man mut¬maßte, Mädchen würden von den Jungen in der Schule unter¬drückt und beiseitegeschoben. Nun stehen diese im Abseits. Jungen werden bei der Einschulung häufiger zurückgestellt als Mädchen; bleiben öfter sitzen, etwa im Verhältnis von sechzig zu vierzig, und sie werden verstärkt in Sonderschulen abgeschoben. Bundesweit machen – mit wachsender Ten¬denz – im Durchschnitt mehr Mädchen als Jungen-Abitur, und Jungen haben zu 14 Prozent häufiger keinen Abschluss.
 
Sie werden zunehmend als Risikogruppe erkannt; den¬noch gibt es kaum Ansätze, die verunsicherten Kinder spe¬ziell zu begleiten. Die Publizistin Susanne Gaschke nennt fünf Problemschwerpunkte, die das Dilemma des Mannes deutlich machen: 1. Die massiven Erziehungs- und Bildungs¬probleme des männlichen Nachwuchses. 2. Die zunehmende, praktisch ausschließlich männliche Gewaltkriminalität. 3. Die für Männer besonders ungünstige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. 4. Ihre Unfähigkeit, sich auf Familie und Vater¬schaft einzulassen. 5. Der Mangel an kulturellen Vorbildern für einen zukunftsfähigen Mann neuen Typs.
 
Ob diese Auflistung von Mängeln und Problemen bei hartgesottenen Feministinnen klammheimliche Schaden¬freude hervorruft? Möglicherweise. Denn angesichts einer Sichtweise, die Männer rundweg zu gewaltbereiten Unterdrückern macht, muss das alles wie eine ausgleichende Gerechtigkeit wirken. Dabei kann es keiner Gesellschaft gleich¬gültig sein, dass fast die Hälfte ihrer Bürger nachweislich Probleme hat oder, bekommen könnte. Volkswirtschaftlich gesehen sind schlecht ausgebildete, zornige und nicht leis¬tungsbereite Männer nicht nur ein soziales, sondern auch ein finanzielles Problem. Ein Krisengebiet mehr, das sich unser Staat nicht mehr leisten kann. Auch Dr. Christian Pfeiffer vom kriminologischen Institut Hannover schlägt Alarm: »In Zukunft werden wir uns neben den Folgen des demographi¬schen Wandels um dieses Thema kümmern müssen – und zwar mit aller Kraft. Andernfalls landen wir im Chaos!«
 
Angekündigt hat sich die Krise der jungen Männer schon vor vielen Jahren. So überschrieb die Zeit bereits 2002 einen Artikel mit der Schlagzeile: »Die neuen Prügelknaben.« Der Bericht setzte sich mit den Folgen einer; einseitigen Bildungs¬förderung auseinander die zugunsten der Mädchen ver¬läuft. »Die Jungen wurden neben einer übereifrigen Mädchenförderung schlicht vergessen«, hieß es.

 

7. Februar 2019


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Teil 17: Der Krieg gegen die Männer –

warum wir ihn uns nicht leisten können

 
Nach dem Ende einer Talksendung, zu der ich eingeladen war, saßen wir im Anschluss mit mehreren Gästen in gemütlicher Runde zusammen. Schnell kam die Rede auf den Cicero-Artikel, und ein Journalist wollte von mir wissen, welche Rolle denn neben Emanzipation und weiblicher Selbstverwirklichung die Männer eigentlich spielten. Haben sich die Frauen verändert wegen der Männer? Oder verändern sich die Männer wegen des veränderten Verhaltens der Frauen? Vermissen die Männer das Weibliche oder sind sie mit der Vermännlichung der Frau einverstanden? Das waren die Fragen, mit denen er mich bestürmte.
 
Es war klar, dass er mich provozieren wollte, schließlich war er ein Mann und konnte diese Fragen viel besser beantworten. Darum bat ich ihn dann auch. Das darauffolgende Gespräch dauerte viele Stunden, und die Runde wurde immer größer. Jeder hatte etwas zu diesem Thema zu sagen.

Der Journalist, das wurde schnell deutlich, äußerte seine Meinung gern, und es war vollkommen offensichtlich, dass sich bei ihm einiges aufgestaut hatte. So war er der Ansicht, dass Frauen sich heutzutage weitgehend vom Frausein verabschiedet hätten. Tugenden wie Anmut und Reinheit, die für ihn unmittelbar mit dem Begriff Weiblichkeit verbunden waren, existierten nicht mehr. Selber Vater von zwei Kindern, betonte er, dass zwar seine eigene Frau und einige wenige andere Bekannte noch Vorstellungen von Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit hätten, dass sie aber die Ausnahme seien. Auch Hingabe und Zuwendung seien Fremdwörter für die meisten Frauen.
 
Das waren Worte, die teils für Stirnrunzeln, teils für Erstaunen, am meisten aber für zustimmendes Kopfnicken in der Runde sorgten. Kündigte sich hier ein neuer Blick und eine neue Sprache für den Geschlechterkampf an? Standen die Frauen nach der jahrzehntelangen erbitterten Aburtei¬lung und Missbilligung von Männern nun selbst im Kreuzfeuer der Kritik?
Es ging aber noch weiter. Emotionalität und Empfindung sprach der Journalist den meisten Frauen ab. Für sie zähle allein das Erfolgsstreben und die Anstrengung, es den Männern gleichzutun. »Und die Männer?«, fragte ich nun zurück. »Was hat sich da getan?«
 
»Männer«, antwortete er, »haben ganz normale Sehnsüchte. Sie wünschen sich endlich wieder eine harmonische, funktionierende Familie. Sie wollen arbeiten gehen, das Geld verdienen, und zu Hause soll alles störungsfrei laufen. Doch es sind im Grunde die Frauen, die keine Lust mehr darauf haben.«
 
Eine junge Sängerin meldete sich zu Wort, sichtlich wütend. So einfach sei die Sache nun auch wieder nicht, fuhr sie ihn an. Einige Folgen der Emanzipation seien zwar durchaus nicht erfreulich für die Partnerbeziehung, aber schließlich könne man nicht alle Frauen über einen Kamm scheren. Sie berichtete von einer erst kürzlich zerbrochenen Beziehung zu einem gleichaltrigen Mann, den sie gerne geheiratet hätte und mit dem sie sich auch gemeinsame Kinder hätte vorstellen können. ,»Doch wer wollte keine Verantwortung überneh¬men?«, fragte sie. »Ich schon. Er aber nicht. So ein selbstsüchtiger Macho.« Sie hatte ihn daraufhin verlassen, weil sie sich der Perspektive einer gemeinsamen Zukunft beraubt sah.
 
»Das ist ja ein interessantes Thema«, brachte ein Mittvierziger aus der Musikbranche hervor. »Mich verließ vor kurzem meine langjährige Freundin, weil ich ihr mit meinem ewigen Familiengefasel auf die Nerven ging. Sie hatte gerade ihr Studium beendet und wollte sich nun ein Berufsleben aufbauen. Bin ich denn auch ein Macho, wenn ich mir Kinder wünsche?«
 
Die Talkrunde war ein gutes Beispiel für, die Vielfältigkeit der Bezeichnungen, die wir heute zu verteilen haben, wenn wir über Männer sprechen: Machos, Softies, Leithammel, Weicheier. Und man muss sich ernsthaft fragen, ob die Spezies Mann mittlerweile zum absonderlichen Sorgenfall mutiert ist. Entweder kommt er gleichsam als primitiver Steinzeitmann mit der Keule daher oder er wird als verweiblichtes und verweichlichtes Zivilisationsopfer belächelt. Wie aber steht es wirklich um den Mann?
 
Keine Frage, das neue weibliche Rollenverständnis erschütterte auch das Selbstbild der Männer. Je dominanter die Frauen auftraten und die Männer in Frage stellten; desto verunsicherter wurden sie. Sie fanden sich plötzlich in der Verteidigungsposition wieder. Sie mussten sich nun rechtfertigen für vieles, was früher als selbstverständlich galt. Viele gaben dem Anpassungsdruck nach und taten schließlich das, was die Frauen von ihnen verlangten: Sie versuchten ihre männlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen nach Kräften zu unterdrücken. Das reichte bis in den Alltag hinein, bis hin zu den kleinsten Dingen, die nun mit Bedeutung aufgeladen wurden. Gut ging das Experiment nicht aus.
 
Anette beispielsweise, eine sehr erfolgreiche Physiotherapeutin, machte die Erziehung ihres Freundes zum »Sitzpinkler« zur Qualitätsfrage ihrer Beziehung. »Wenn du mich wirklich liebst …«, begannen ihre Sätze. Sie sprach von Hygiene, meinte aber die Unterordnung unter ihre weiblichen Vorstellungen. Ein halbes Jahr lang nahm der Mann ergeben Platz beim kleinen Geschäft. Dann stand er auf – und ging für immer.
 
Er tat es mit dem Hinweis, dass er die Nase voll habe, sich für sein Mannsein permanent entschuldigen zu müssen. Dafür, dass er samstags gern die Sportschau sehe. Dafür, dass er am Wochenende lieber zum Autowäschen gehe statt zum Kochkurs »Zaubern mit Tofu«. Und er wolle sich auch nicht mehr dafür entschuldigen, dass er manchmal einfach keine Lust hätte zu reden und von einer Harley Davidson träume, obwohl man damit nicht den Wochenendeinkauf transportieren kann.
 
All das erzählte Anette im Ton größter Empörung. Fast schien es mir, als sei sie so beleidigt wie eine Lehrerin, deren Schüler ihre Lektion nicht lernen wollte. Sie konnte und wollte nicht akzeptieren, dass ein Mann andere Interessen hatte, andere Vorlieben und andere Träume. Damit war eine Weile Schluss gewesen – bis der Mann diese Selbstverleugnung nicht mehr ertrug.
 
Es scheint so, als sei der selbstverständliche Umgang der Geschlechter einem misstrauischen Umschleichen gewichen. Männer können nicht mehr sicher sein, alles »richtig« zu machen, zu hoch sind die Ansprüche geworden, und zu kompliziert sind auch die Regeln. Darf ein Mann eine Frau zum Essen einladen oder sieht sie es schon als Demütigung an, wenn er bezahlt? Ist es eine unzulässige Grenzüberschreitung, wenn er der sympathischen Unbekannten morgens im Fahrstuhl freundlich zunickt? Ist das Kompliment für das schicke Kostüm der Kollegin bereits sexuelle Belästigung?
 
Mittlerweile sollten sogar extrem selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen begriffen haben, dass »typisch männlich« nicht automatisch »typisch Unterdrücker mit Lizenz zur Gewalt« bedeutet, wie der Feminismus es uns weismachen wollte. Noch 2002 schrieb Alice Schwarzer bedenkliche Sätze wie den, dass sich »unter scheinbarer Galanterie und Fürsorge der Männer in Wahrheit immer Verachtung und Benachteiligung gegenüber Frauen verberge«. Alles klar? Wenn er ihr in den Mantel hilft oder ihr die Tür aufhält, dann geschieht das nur, um ihre Schwachheit vorzuführen oder sie zum Nichts zu degradieren.
 
Solche klischeehaften Vorstellungen haben dazu geführt, dass Männer es häufig gar nicht mehr wagen, höflich und respektvoll mit Frauen umzugehen. Oder sie versuchen sich krampfhaft anzupassen – bis der Leidensdruck zu groß wird.
 

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Teil 18: Rückzug aus der Partnerschaft
 
Nicht immer fällt die Krise der Männer so deutlich ins Auge wie beim Schulversagen der Jungen. Manchmal sind es nur Abweichungen, die eine Menge über den Einfluss männerfeindlicher Ideologien aus den Anfängen des Feminismus erzählen können Dazu gehört beispielsweise das Phänomen der »ewigen Jungen«, mithin jener Männer, die sich weigern, erwachsen zu werden. Sie wollen Spaß statt Verantwortung, nach dem Motto: »Ich will doch nur spielen!« Denn diese Männer wissen, dass es richtig anstrengend ist, wenn es mal ernst wird mit einer Frau. Das bedeutet: zähes Verhandeln, wenn es um gemeinsame Freizeitaktivitäten geht, endloses Debattieren über Aufgabenverteilung wie Bügeln und den Müll runterbringen, offener Geschlechterkampf, wenn nicht alles so läuft, wie; im. Soll-und-Haben-Plan. konsequenter Gleichberechtigung vorgesehen. Wie feindliche Konkurrenten stehen Mann und Frau sich dann gegenüber.
 
Till Schweiger, geschiedener Vater von vier Kindern, formulierte es in einem Interview in der Zeit folgendermaßen: »Dana und ich wurden früher oft gefragt: „Was ist das Erfolgsgeheimnis Ihrer Ehe?“: Es gibt kein Geheimnis, haben wir geantwortet, es gibt nicht die Traumfamilie. Nur wenn es keine Konkurrenz gibt in der Ehe, können beide nach einer Weile Freunde werden. Aber wem gelingt das schon?«
 
Der ausgerufene Geschlechterwettkampf macht es immer schwieriger, die Ehe als Partnerschaft unterschiedlicher Talente und Aufgaben zu sehen, in der das Konkurrenzdenken keinen Platz hat. Nahezu verständlich, dass sich immer mehr Männer diesem Stress entziehen und nur unverbindliche Teilzeitbeziehungen möchten – die wie. selbstverständlich kinderlos bleiben.
 
»Wir wollen nicht mal ein bisschen Quote, wir wollen Macht über die Männer«, hatte Alice Schwarzer gefordert. Das hieß letztlich: Lasst uns die Männer kleinmachen! Doch die Männer weigern sich, wie Haustiere dressiert zu werden. Sie ziehen es vor, als einsame Wölfe durch die Gegend zu ziehen, statt ein Dasein als angepasster Schoßhund zu fristen.
 
Dies ist natürlich auch das Terrain all jener Männer, die – man darf es nicht verschweigen – nach wie vor Frauen ausnutzen, belügen, betrügen und emotional ausbeuten. Ja, es gibt sie, und es hat sie auch früher schon gegeben, diese finsteren Charaktere, die Frauen schlecht behandeln, sie schlagen, sie ihrer Freiheit berauben. Doch um sie geht es hier nicht. Sie sind nicht Teil des Problems, das die diffusen Männerbilder heute hervorbringt, die Rollenunsicherheiten, die Männer zögern lassen, sich langfristig zu binden und Vater zu werden.
 
Wenn doch eine Ehe eingegangen wird/so zerreiben sich die Partner häufig in kindischen Kämpfen um Rechte und Pflichten. Das prägt wiederum die Sprösslinge, die erleben, dass eine Beziehung offenbar, aus Konflikten, Streit und permanentem Aufrechnen, besteht, aus» einem großen Machtspiel, in das auch sie selber einbezogen werden. »Du warst gestern mit deinen Freunden unterwegs, jetzt mach wenigstens mit den Kindern die Hausaufgaben!«, heißt es da schon mal. Oder: »Statt mit deiner blödsinnigen Steuersoftware rumzuspielen, solltest du lieber mal Tanjas Puppenhaus reparieren!«
 
Die Botschaft ist immer die gleiche: Viele Frauen finden Männer grundsätzlich unreif, verspielt und verantwortungslos, daher haben sie zu Hause »die Hosen an« und kommandieren den Gatten permanent herum. Und kontrollieren ihn, damit er ja keine Dummheiten macht.
 
Einem entfernten Bekannten, er ist Anwalt mit einem großen Büro, wurde das eines Tages zu bunt. Einmal im Monat veranstaltete er mit Freunden ein Treffen; das sie ironisch als »Herrenabend« bezeichneten, Sie gingen essen, tranken guten Rotwein, rauchten hinterher manchmal noch eine Zigarre, und kehrten dann in ihre Wohnungen zurück. Keine Verrücktheiten, keine Ausschweifungen, aber eben Männer unter sich.
 
Die Frau dieses Bekannten hatte ihn stets mit säuerlicher Miene ziehen lassen, nicht ohne sich genau1 zu erkundigen, wann und wo diese Treffen stattfanden. Einmal tauchte sie wie zufällig bei einem »Herrenabend« auf, und es war allen klar, dass sie sich auf Kontrollstreife befand. Dem Anwalt war das furchtbar peinlich, und als er später daheim war, stellte er seine Frau zur Rede. Da brach es aus ihr heraus: »Du baust dir ein Parallelleben ohne mich auf!« Der Mann verstand nicht im Mindesten, wovon sie sprach, bis er einsehen musste, dass sie selbst diesen einen Abend im Monat nicht ertrug, an dem er ihrer Kontrolle entzogen war. »Denk mal über unsere Beziehung nach!«, rief sie aus. Er tat es – und verließ sie zwei Wochen später.
 
Nicht alle Männer sind so radikal. Viele machen sich erst einmal das Leben schwer und wagen die Entmännlichung im Selbstversuch, ein Dasein nach den Vorgaben der Frau. Früher nannte man solche Männer »Pantoffelhelden«.. Heute werden sie als »die neuen Männer« gefeiert, die Windeln wechseln, Spaghetti kochen und zur Not auch mal zum Seidenmalkurs mitkommen. Alles gut und schön – aber dürfen sie! umgekehrt auch »typisch Männliches« zulassen? Nein. Denn das sei ja Macho-Gehabe.
 
9. Februar 2019


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Teil 19: Der deformierte Mann
 
Die Tabuisierung der eigenen Männlichkeit – männliche Rituale und selbst harmlose männliche Macken eingeschlossen – lässt in Männern das Gefühl entstehen, sie seien grundsätzlich Versager. Sie zweifeln an sich und sie zweifeln noch mehr daran, die Widersprüche auch noch innerhalb einer Familie zu ertragen. Auch der Mann braucht Freiheit – nicht nur die Frauen, die Emanzipation als nahezu grenzenlose persönliche Freiheit verstehen.
 
Besonders abwegig ist es, dass die öffentliche Diskussion über Männer Einzelerscheinungen zu Trendsettern hochjubelt. Lässt sich David Beckham mit einem Haarreifen auf dem Fußballplatz sehen, wird sofort ein neues Männerbild herbeigeredet, die so genannte Metrosexualität, ein Wechselspiel zwischen Mann und Frau. Wenn Robbie Williams in seinen Musikvideos anstößige Posen und aufreizend gekleidete Mädchen vorführt, wird gleich darüber diskutiert, ob Männer wieder »bad boys«, also böse Jungs sein dürfen. Und wenn Günther Jauch sich zu preußischen Tugenden und zum Tischgebet bekennt, scheint der Patriarch wieder in Mode zu kommen.
 
Dauernd wird also am Mann herumerzogen, ständig werden neue Rollen und neue Regeln erfunden, als sei er ein wildes Gewächs, das erst beschnitten werden muss, um in den Garten zu passen.
 
Es ist höchste Zeit, das Kriegsbeil zu begraben. Selbst einstmals männerfeindliche Feministinnen wie die Amerikanerin Susan Faludi, die die Männer dämonisiert hatte, lenken mittlerweile ein. Und Betty Friedan, altgediente Veteranin des amerikanischen Feminismus, betont heute, dass einseitige Schuldzuweisungen an die Männer uns nicht weiterbrächten. In Bezug auf bessere Lebensbedingungen verriet sie schon vor mehr als einem Jahrzehnt dem Spiegel (3/1995): »Wir können das nicht gegen die Männer auskämpfen, nur gemeinsam mit ihnen.«
 
Und, wichtiger noch: Sie räumte auch gleich auf mit dem Mythos des Mannes als bedrohlichem Übermenschen. Während deutsche Feministinnen Männer immer noch gern als gewaltbereite Sexmonster verteufeln, bemerkt Friedan schlicht: »Er muss wettbewerbsfähig sein, den Potenznormen genügen, und das ist verflixt schwierig.«
 
Viel zu lange wurde der Mann im Krieg der Geschlechter als Supermann gesehen. Doch auch er hat Probleme, sucht Anerkennung, hat Ängste, fühlt sich von Normen bedrängt. Keinesfalls ist er nur der souveräne Despot. Und noch weniger ist er Urheber allen Übels. Die verschiedenen Rollenbilder und Ansprüche zerren an ihm nicht weniger als an den Frauen. Der Psychiater Peter Riedesser beschreibt die Situation im Juni 2006 in der Zeit so: »Die Männer sind zerrissen zwischen dem Wunsch, eine Frau zu finden, die sie lieben, und eine gute Beziehung zu ihren Kindern zu haben, und dem Bedürfnis, der Arbeitswelt mit ihren Karrieremustern gerecht zu werden. Den Frauen geht es nicht anders. So treffen also innerlich zerrissene Männer auf innerlich zerrissene Frauen.«
 
Riedesser betont, dass »die hergebrachten Begriffe von Mütterlichkeit und Väterlichkeit« neu definiert werden müssten. »Der Hausmann der siebziger Jahre, der in Latzhose versuchte, die bessere Mutter abzugeben, war doch eine belächelte Figur.« Stattdessen müsse es darum gehen, die gleichberechtigte Elternschaft zu leben – jedoch auf der Basis konturenscharfer Unterschiede zwischen Frau und Mann. »Der Vater ist Vorbild und Identifikationsfigur für den Jungen, und für das Mädchen ist er der erste männliche Mensch, von dem es sich ermutigt oder abgewiesen fühlt.«

 
In Umfragen nimmt er schon Gestalt an, der »neue Mann«, der trotz des Berufs Kindererziehung und Hausarbeit als selbstverständlich ansieht. Doch das könnten zeitgeistige Absichtserklärungen sein, wie Wassilios Fthenakis betont, langjähriger Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München. Es handele sich dabei um ein »subjektives Konzept«. Was bedeutet, dass der Mann gern wollen würde, dann aber doch nicht danach handelt. Dafür sollte er nicht abgeurteilt werden; es wird noch ein langer Weg sein, bis wir liebevolle, interessierte Väter erleben werden, die trotzdem in ihrer männlichen Rolle zu Hause sind.
 
Lassen wir also den Mann Mann sein. Hören wir auf, an ihm herumzuerziehen, als seien wir Gouvernanten. Respekt und Akzeptanz können wir nur erwarten, wenn wir auch die Männer respektieren und akzeptieren! Ja, es mag vielleicht albern aussehen, wenn ein erwachsener Mann seinen Fan-Schal umlegt und sich mit seinen Kumpels in die Südkurve begibt. Richtig, ein Mann könnte auch Gemüse putzen, statt im Keller an seinem ferngesteuerten Flugzeug herumzubasteln. Doch wollen wir das wirklich? Und lohnt sich der Streit um diese Dinge? Sollen wir wirklich den Familienfrieden diesem lächerlichen Kleinkrieg opfern?
 
»Ich würde keinem Mann seinen Porsche ausreden wollen, solange das Geld noch für die Familie reicht und er nicht zu schnell damit fährt«,’ sagt der Berliner Männerforscher und Männerberater Eberhard Schäfer. Ob wir das noch erleben werden, einen gefühlsbetonten, verträglichen »richtigen Mann« ohne Nebenwirkungen? Schön wäre es.
 
10. Februar 2019


https://www.eva-herman.net/taegliche-veroeffentlichungen-zum-thema-mann-frau-und-gender-teil-20-frauen-denken-um/

Teil 20: Frauen denken um
 
Der Schlüssel für ein Umdenken in der Gesellschaft sind wir Frauen. Wir besitzen ein tiefes Wissen, wie Bindungen und Gefühle entstehen, wie ein Netz der Geborgenheit gespannt wird, wie wir als Partnerin und Mutter zwischen den verschiedenen Bedürfnissen vermitteln können. Wir haben den Blick für Probleme, die in der Gemeinschaft anliegen, und den für ihre Lösungen. Das ist eine Lebensaufgabe, unsere Lebensaufgabe, und kein Zweitjob. Was lange verleugnet wurde: Diese Bestimmung kann uns Frauen umfassende Zufriedenheit und dauerhaftes Glück bescheren.
 
Wir verbrachten Jahrzehnte damit, den leeren Versprechungen der Emanzipation hinterherzulaufen. Wir waren der irrigen Ansicht, dass wir unsere Würde verlieren, wenn wir Kinder bekommen und uns selbst um sie kümmern. Und wir sahen im Mann, den die Schöpfung als natürliche Ergänzung, als Bereicherung und Stärkung der Frau vorsah, nur noch den Feind, der uns versklaven will. Diese Leitbilder bejubelten wir, als wären wir im Rausch. Mittlerweile macht sich Ernüchterung breit. Und wir geben zu, dass wir am wahren Daseinssinn im Namen des Fortschritts grandios vorbeilebten.
 
Das tat auch Ines. Sie ist heute Anfang vierzig und hat die, wie sie mir sagte, schmerzhafteste Erfahrung ihres Lebens vor nicht allzu langer Zeit hinter sich gebracht Mit Anfang dreißig lernte sie Christian, ihren späteren Mann, kennen, die Heirat ließ nicht lange auf sich warten. Ines wollte nach ihrem Studium und einer Ausbildung zur Werbekauffrau erst einmal ausgiebig Berufserfahrung sammeln und Geld verdienen, sie hatte einen gut bezahlten Job in einer angesehenen Agentur. Für Nachwuchs hätten sie später noch Zeit, sagte sie. Christian, der; ein mittelständisches Unternehmen leitete, wünschte sich jedoch viel früher eine richtige Familie, und er wollte gleich mehrere Kinder. Auch wenn sie etwas kürzer treten müssten, so wäre das doch nicht so schlimm, meinte er immer, das Geld für den Lebensunterhalt würde er schon aufbringen können. Die Versuche, mit Ines darüber zu sprechen, tat sie meistens mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. Wenn die beiden sich spätabends nach der Arbeit in ihrer Stadtwohnung trafen, war Ines mit ihren Kräften häufig am Ende; Sie wollte ihre Ruhe haben, schließlich hatte sie den ganzen Tag geredet, verhandelt, telefoniert.
 
Christian hätte sich gern öfter mit seiner Frau bei einem Glas Wein über seine täglichen Erlebnisse unterhalten, auch ihren Rat gebraucht. Als er das einmal monierte, rastete Ines aus. Was sie denn eigentlich noch alles leisten solle?, fragte sie ihn. Sie fühle sich mit dem Job überfordert, kämpfe täglich in einem Haifischbecken um ihre Beförderung, obwohl ihr am Ende womöglich doch ein anderer Arbeitskollege zuvorkomme. Dazu sei sie ständig der Gebärforderung ihres Mannes ausgesetzt, die sie nicht mehr aushalte. Weinend rannte sie aus dem Haus und konnte sich erst Stunden später wieder beruhigen. Diese Ausbrüche wiederholten sich, Gespräche zwischen den beiden wurden immer seltener, dafür traf sich Christian abends häufiger mit Freunden oder Kollegen.
Kurze Zeit später lernte er auf einer Dienstreise Anne kennen, eine junge Frau, die Anteil an seinem Leben nahm und ihm zuhörte.
 
Die beiden trafen sich öfter, sie gab ihm Empfehlungen, wie er sich im seinem Beruf besser etablieren konnte. Anne war eine warmherzige und kluge Frau, die zwar selber arbeitete, doch auch viel für andere tat. Sie war Krankenpflegerin und betreute in der Freizeit ihre alte Nachbarin, für die sie regelmäßig einkaufen ging und Besorgungen erledigte. Christian war hin- und hergerissen, denn ihm wurden zwei völlig unterschiedliche Lebensentwürfe vorgeführt. Und schließlich kam es, wie es kommen musste: Nach langem und schmerzhaftem Ringen um die richtige Entscheidung verließ er seine Frau und zog zu Anne.

 
Für Ines brach eine Welt zusammen. Doch es war zu spät. Sie saß vor den Trümmern ihres Privatlebens und fürchtete sich vor dem Alleinsein: »Es ging alles so schnell«, schluchzte sie. »Ich glaubte, wir hätten eine vorübergehende Krise, doch auf. einmal war Christian weg. Und schuld bin ich ganz allein, ich habe zu wenig Rücksicht auf meinen Mann genommen, seine Bedürfnisse habe ich einfach überhört.« Und leise fügte sie hinzu: »Seine neue Freundin soll schwanger sein. Für mich dagegen ist der Zug wohl abgefahren.«
 
Mit diesem Beispiel wird uns vor Augen geführt, wie schnell manchmal unsere Lebensplanung in die andere Richtung gelenkt wird, mit allen schmerzhaften Konsequenzen und ohne die Möglichkeit, an dem Kurs noch etwas ändern zu können. Sollte Ines nicht in Kürze einen neuen Partner finden, stehen die Chancen für Kinder schlecht. Und für Enkelkinder. Für das Glück einer Familie eben. Mit Anfang vierzig gellt das nicht mehr »mal eben so«. Frauen, die sich eben noch für fähig hielten; jederzeit die Weichen pro Familie stellen zu können, stehen im nächsten Augenblick mit leeren Händen da. Wenn der Mann fort ist, fehlt auch der mögliche Vater: für Kinder. Und den findet man in der Regel nicht im Vorübergehen.
 
Viel später, wenn man den Mut für eine ehrliche Bestandsaufnahme hat, zeigt sich häufig auf tragische Weise, wie einfach das Leben in Wirklichkeit ist, so lautete Ines‘ Einsicht. Sie hat Recht. Es geschieht in der hektischen Zeit heute nur noch selten, dass wir in uns hinein hören und ihr lauschen, der inneren Stimme, unserem zuverlässigen Ratgeber für ein erfülltes Leben.
 
11. Februar 2019