Vom Ukraine- zum China-Krieg?

20.02.23

von Werner Müller


Der Ukraine-Krieg wird nur vordergründig um den Donbass oder die Krim geführt. Mittelfristig ging es den USA mit dem Putsch in der Ukraine von 2014 um die Verdrängung Russlands aus dem Schwarzen Meer, und langfristig um die Verteidigung ihrer Stellung als einziger Weltmacht. Die sahen die USA durch die Annäherung von Russland und China sowie dem Entstehen weiterer Netzwerke mit selbstbewussten Staaten bedroht. Dabei ist besonders das BRICS-Netzwerk (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zu erwähnen. Die „Warnungen“ der USA gegenüber China während der Münchener Sicherheitskonferenz von 2023 zeigen, dass sich die USA ernsthaft auf einen Krieg gegen China vorbereiten. Der könnte 2024, rechtzeitig vor der Präsidentschaftswahl, begonnen werden. In der Ukraine haben die USA die Drecksarbeit den Europäern überlassen, um sich gegenüber China den Rücken freizuhalten. Der überstürzte Abzug aus Afghanistan von 2021 passt ebenfalls in diese Strategie zur Vorbereitung eines Dritten Weltkrieges, der dann natürlich von China mit einem „Überfall“ auf Taiwan begonnen werden muss. Für eine ausreichende Provokation werden die USA schon sorgen. Natürlich würde dieser Krieg auf dem Rücken der einfachen Menschen ausgetragen. Sie werden immer die Verlierer sein, gleichgültig wie der Krieg ausginge. Deshalb wird man sie mit der entsprechenden Propaganda gegeneinander aufhetzen müssen.

Vor dem Einsetzen der heißen Phase der Kriegspropaganda sollte deshalb diese Ausgangslage klargestellt werden, wobei eine einfache Schwarz-Weiß-Einteilung nicht möglich ist.

Die USA verstehen sich als Führungsmacht der „freien Welt“ und behaupten damit, dass alle Länder, die sich den USA nicht unterwerfen wollen, unfrei wären. Die USA haben etwa 4 % der Weltbevölkerung, der politische Westen kommt zusammen auf etwa 15 %. Die USA erheben also den Anspruch, mit ihren 4 % auch die restlichen 85 % der Welt dominieren zu können. Dieses Missverhältnis muss den normalen Menschen, auch im Westen, als ungerecht erscheinen. Es ist dann nachvollziehbar, dass ein großer Teil der 85 % gegen den Machtanspruch wehren will. Wenn sich Russland und China den USA entgegenstellen, macht eine wie auch immer gestaltete Unterstützung für diese beiden USA-Gegner nur konsequent.

An vielen Kandidaten für das russisch-chinesische Lager kann so manches kritisiert werden. Der iranische Islamismus achtet weder die Religionsfreiheit, noch die Gleichberechtigung der Frauen. Das einst multireligiöse Indien entwickelt sich zu einem Hindu-Staat. Andererseits haben die von den USA gewaltsam herbeigeführten Regimewechsel in Afghanistan, Irak und Libyen nicht dazu geführt, dass sich die Masse der Bevölkerung für das westliche Modell begeistern konnte, von einigen Vorzeige-Bildungsbürgern einmal abgesehen. Hier kann man Parallelen zur Corona-Hysterie erkennen, bei der die Regierungspropaganda 80 % der Bevölkerung erreicht hat und von höchstens 1 % aktiver Widerstand ausging. In religiös geprägten Länder haben die Geistlichen die Funktion der Massenmedien. Umgekehrt wurden auch „die Medizinmänner“ (Drosten, Wieler, Lauterbach; keine Quotenfrau) von ARD und ZDF wie Heilige verehrt und ihre Aussagen als Glaubensbekenntnisse formuliert. Der Plan der USA konnte also nicht funktionieren.

Es fällt auch auf, dass im Westen immer weniger von Menschenrechten und immer mehr von Werten gesprochen wird. Die Menschenrechte wurden von den Vereinten Nationen am 10.12.1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausformuliert, die westlichen Werte verkünden die USA nach Gutdünken. In Art. 16 Abs. 1 AEMR wird z.B. das Recht „heiratsfähiger Männer und Frauen…, zu heiraten und eine Familie zu gründen.“ festgeschrieben. Abs. 3 erklärt auch das Recht der Familie  „… auf Schutz durch Gesellschaft und Staat“ zu einem Menschenrecht. Das passt nicht zur LGBTQXYZ-Propaganda im Westen; die Islamisten können diesen Artikel dagegen voll unterstützen. Sie betrachten die westliche Propaganda für nicht-binärer Lebensformen als Angriff auf die Familie und damit als Verletzung der Menschenrechte. „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ (Bibel, Johannes 8, Vers 7) Und die USA sind mit Sicherheit nicht ohne Sünde!

Der Westen außerhalb der Führungsschicht der USA könnte einen Sieg der westlichen Werte über Russland und China als das kleinere Übel betrachten, trotz der grundsätzlichen Ungerechtigkeit dieser Weltordnung. Dem kann aber entgegengehalten werden, dass Russland und China nur die Entmachtung der USA anstreben und zumindest aktuell keinen eigenen Führungsanspruch haben. Trotz fundamentaler Gegensätze würde z.B. Kuba den Iran respektieren, und umgekehrt. Dieser Respekt würde auch einem von den USA unabhängigen Westeuropa entgegengebracht, das sich gegenüber Indien, Brasilien oder Nigeria nicht herablassend verhalten dürfte. Die westlichen Werte wären im Westen also nicht bedroht. Der Iran würde die Nase rümpfen, wenn dort die traditionelle Familie von anderen Lebensformen verdrängt würde und Südamerika würden den europäischen Machos politisches Asyl anbieten, aber einmischen würden sich diese Länder nicht.

Die wichtigste Überlegung wäre aber die Prognose der Erfolgsaussichten. Glauben die USA wirklich, einen Atomkrieg gegen China und Russland gewinnen zu können? Glauben sie vielleicht sogar, China und Russland mit der atomaren Bedrohung zur bedingungslosen Kapitulation zwingen zu können? Wären Indien, Afrika und Südamerika danach so eingeschüchtert, dass sie sich den USA kampflos unterwerfen würden? Oder sagt einem der gesunde Menschenverstand, dass das ebenso aussichtslos wäre wie die Versuche Napoleons und Hitlers, Russland bzw. die Sowjetunion zu erobern. Warum sollen Westeuropa und die einfachen Menschen in den USA dieses gefährliche Spiel mitmachen? Die Führung Osteuropas mag davon träumen, als Bollwerk gegen Russland den Statthalter der USA in Europa spielen und Westeuropa aus dieser Rolle verdrängen zu können.

Auch ohne die Zuspitzung der Lage in der Ukraine hätten der Machtanspruch der USA, die wachsende Bedeutung Chinas und die Herausbildung neuer Machtzentren im globalen Süden zu einer explosiven Mischung geführt. 15 % können die übrigen 85 % nicht dauerhaft dominieren! Mit einem vernünftigen Ausgleich zwischen dem Westen und dem Süden mit gegenseitigem Nachgeben hätte man die Lage vor 2 Jahren noch beherrschen können. Dieser Zug ist aber wohl abgefahren. Jetzt werden neue Ideen nötig sein.

Der Ukraine-Krieg kann nur beendet und der China-Krieg nur verhindert werden, wenn den USA ihre Allmachtsphantasien schnell genommen werden. Ein Sieg der NATO in der Ukraine würde zu einer weiteren Eskalation führen. Ihre Niederlage würde sie dagegen auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Die Ukraine ist nach einem Jahr Krieg nicht mehr zu retten, der Rest der Welt schon.  Je früher die Rechnung der USA nicht aufgeht, umso geringer wird der Schaden sein, den sie mit ihrer Strategie anrichten. Das müssen die Menschen im Westen, und die Regierungen in Asien, Afrika und Südamerika so schnell wie möglich verstehen.

Es geht nicht um die Unterstützung Russlands und Chinas, aber um eine klare Distanz zu den USA.

Anmerkung vom 24.02.23:

 

Die politische Kultur der USA unterscheidet sich sehr deutlich von der europäischen. Die politischen Positionen werden dort nicht von den Parteien, sondern von Personen geprägt. Die brauchen Unterstützer. Die Position der Lobbyisten ist damit viel stärker, und was in Europa unter Korruptionsverdacht steht, ist in den USA völlig normal.

In der politischen Debatte werden in den USA zunächst die Personen angegriffen, und erst danach ihre Politik. Eine mögliche Angriffsfläche sind die Interessengruppen, die den Politiker unterstützen. Allerdings gilt hier das Sprichwort: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! Man könnte auch sagen: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus! Die Kritik an den Unterstützern des anderen Politikers, hätte die Kritik an den eigenen Unterstützern zur Folge. Diese Lawine will kein US-Politiker lostreten.

Eine beliebte Angriffsfläche ist aber die Religionszugehörigkeit. Besonders in den religiös geprägten ländlichen Gebieten sind vielen Wählern Kandidaten suspekt, die einer anderen Religion angehören. Wenn man dann noch argumentieren könnte, das Katholiken vom Papst beeinflusst würden, und Juden von der israelischen Regierung, hat ein solcher Angriff eine gewisse innere Logik. In den USA würde man es als abwegig ansehen, einem Politiker Antisemitismus vorzuwerfen, weil er den Einfluss der Israel-Lobby auf bestimmte Politiker kritisiert. In Europa würde man diese Instrumentalisierung der Religionszugehörigkeit gegenüber Angehörigen religiöser Minderheiten natürlich entschieden zurückweisen.

Starke Lobbys sind die Schusswaffenbesitzer und die Rüstungsindustrie. Ihr Weltbild folgt dem Recht des Stärkeren. Es geht nicht um die besseren Argumente, sondern um die besseren Waffen. Die Rüstungsindustrie braucht Feindbilder, damit sie der US-Regierung ihre Waffensysteme verkaufen kann. Und sie braucht US-geführte Bündnisse, die zum Kauf von Waffen aus US-Produktion genötigt werden können. Kriege sind gut fürs Geschäft. Die vielen „Militäreinsätze“ der USA in aller Welt sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Ein Waffenbesitzer hat hier auch keine moralischen Bedenken.

 

Der Rest der Welt sollte sich aber sehr genau überlegen, ob ein Land mit dieser politischen Kultur als Führungsmacht geeignet ist.